Mit einem Bein im Modelbusiness
ein Riesenakt. Da ich aber weiß, dass die Designer ihre Schuhe meistens nur bis Größe 44 auf Lager haben, versuche ich es erst mal mit der größeren Nummer, um im Zweifel noch eine zweite Option ziehen zu können.
» Haben wir nicht!«, rief mir der Assistent zu, der vor einer Wand voller Schuhkartons stand.
Das Spiel kannte ich schon. Ich blieb ruhig.
» Kein Problem! Dann gib mir eine 44 bitte.«
Mithilfe eines chausse-pied – ach, ich liebe das französische Wort für Schuhanzieher – knüppelte ich den edlen Treter mit aller Kraft über die Orthese. Zum Glück hatten die Schuhe an der Seite einen Reißverschluss, den ich offen lassen konnte. Auch die Hose war recht weit geschnitten, sodass ich alles ein bisschen verdecken konnte. Natürlich saß es nicht perfekt, aber was sollte ich machen? Jetzt konnte ich meine Improvisationsskills unter Beweis stellen. Diggi, lass dir einfach nichts anmerken!
Eine Tür öffnete sich, und ich wurde von einer Assistentin in den nächsten Raum gerufen, an dessen Wänden überall Spiegel hingen. Die beiden Designer vom Vortag begrüßten mich kurz, und ich lief die üblichen fünf Meter vor und wieder zurück. Der Fußboden war mit einem weichen Teppich ausgelegt, was es mir etwas einfacher machte. Ich hatte jedenfalls ein gutes Gefühl.
Die zwei ließen mich keine Sekunde aus den Augen. Auch wenn sie mich nicht direkt ansahen, konnten sie mich durch die vielen Spiegel von allen Seiten beobachten. Dann unterhielten sie sich auf Französisch. Wie immer verstand ich kein Wort, konnte aber anhand des Tonfalls erahnen, dass sie nicht einer Meinung waren.
» Lauf bitte noch mal!«, sagte der eine, der, so glaubte ich, gegen mich war.
Nur die Ruhe, Mario. Durchatmen. Blue-Steel-Blick. Let’s go!
Die beiden guckten sich wieder an.
Gemurmel.
» Tut mir leid. Du musst noch mal laufen.«
Ich lief.
» Und noch einmal bitte.«
Ich lief.
» Danke!«, sagte jetzt der andere und lächelte zurückhaltend.
Dann durfte ich gehen. Normalerweise habe ich ein feines Gespür für solche Situationen, aber diese beiden Herren machten es wirklich spannend. Ich hatte mein Bestes gegeben. Der Rest lag nicht mehr in meinen Händen.
Höhenflüge und Abstürze
Am Abend klingelte mein Handy.
» Mario, du bist gebucht.«
» Für wen?«, fragte ich erschöpft. In den vergangenen Tagen war ich fließbandmäßig bei über dreißig Castings gewesen. Da musste sich mein lieber Booker schon genauer ausdrücken.
» Yves Saint Laurent.«
» Waaas?«
Aufgeregt sprang ich von meinem Bett auf.
» Ich gratuliere dir.«
» Ist das auch wirklich sicher?«, fragte ich nach.
» Ja, wir haben gerade die Bestätigung aus seinem Büro bekommen.«
» Danke, danke, danke«, rief ich überglücklich und hüpfte quer durchs Zimmer.
Überkrass!
Ich meine, in Paris für Yves Saint Laurent zu laufen – puh, das war schon der Next Level Shit. Nachdem ich mich tausendfach bei meinem Booker bedankt hatte, rief ich Peter an, der sofort zu weinen anfing.
» Was habe ich dir immer gesagt?«, schluchzte er.
» Ich weiß. Ich weiß. Ein Krieger gibt niemals auf!«
» Guter Junge!«, sagte Peter voller Stolz. Er hatte sich jetzt wieder einigermaßen gefangen. » Wir sehen uns nächste Woche in Mailand. Ach, ich freue mich so für dich. Dann wird gefeiert!«
» Worauf du dich verlassen kannst.«
Den letzten Tag in Paris genoss ich in vollen Zügen. Ich machte noch die restlichen Castings mit und war einfach nur glücklich, denn ich hatte schon mehr erreicht, als ich je zu träumen gewagt hatte. Neben Yves Saint Laurent hatte ich noch ein Booking von Alexis Mabille bekommen. Alexis arbeitete viele Jahre als Designer bei DIOR und stellte jetzt seine erste eigene Männer-Kollektion vor. Und ich war mit an Bord. Ah, ich freute mich schon wie Bolle, meinen Kumpels aus Mailand von alldem zu erzählen.
Doch wie gewonnen, so zerronnen. Kurz vor meinem Abflug klingelte erneut mein Handy.
» Es tut mir so leid«, begann mein französischer Booker vorsichtig, » aber du bist wieder aus der Show geflogen.«
» Wie jetzt?«, sagte ich entsetzt.
» Du bist nicht mehr im Line-up!«
» Yves Saint Laurent oder Alexis Mabille?«
» Yves Saint Laurent.«
Ich verstand die Welt nicht mehr.
» Aber wieso?«
» Sie haben leider keine Begründung genannt.«
» Aber ich war doch gebucht!«, sagte ich und versuchte zu verstehen, was gerade passiert war. » Das hast du selbst gesagt.«
» Ja, das warst du auch.«
» Was
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