Mit einem Bein im Modelbusiness
bisschen an mir herumzupfte und pausenlos schwärmte, wie toll ich doch in dem Anzug aussehen würde. Zu guter Letzt betrat auch der Designer den Raum, schoss zwei, drei Polaroids von mir und schien ebenfalls ziemlich begeistert zu sein.
» Und jetzt einmal laufen!«, sagte er, während er mich ein letztes Mal prüfend musterte.
Ich kam nicht weit. Nach nur vier Schritten unterbrach er meinen Walk mit einem lauten » STOPP !«.
Erschrocken blieb ich stehen. Seine beiden Assistenten schauten nervös zu ihm herüber.
» Was hast du da?«, fragte mich der Designer barsch. » Bist du verletzt, oder warum läufst du so komisch?«
» Hm, also das liegt wohl an meinem Handicap!«, antwortete ich ruhig, wohl wissend, dass sich der Job in dieser Sekunde in Rauch aufgelöst hatte.
» Was denn für ein Handicap?«, fuhr er mich schroff an.
Ich machte es kurz und schmerzlos, öffnete meine Hose und ließ sie nach unten fallen.
» Ich trage eine Beinprothese. Here we go!«
» What the fuck is that?«
Der Designer kam entsetzt auf mich zu.
Ich reagierte nicht.
» Oh, mein Gott. Ich fasse es nicht!«, ätzte er weiter. » Schicken die Idioten mir einen Behinderten her!«
In dem gesenkten Blick seiner Assistentin, die kaum älter war als ich, konnte ich Scham und Mitleid erkennen. Für ihn? Für mich? Für sich selbst, weil sie den Job bei diesem Fiesling angenommen hatte? Dem Assistenten, der mir nicht mal in die Augen sehen konnte, erging es nicht besser.
» Und damit bucht dich jemand?«, fragte er abfällig. » Mit dem Ding?«
Ich stand wie angewurzelt da und brachte kein Wort heraus.
» Sonst wäre ich wohl nicht hier«, sagte ich, ging zu meinem Stuhl zurück und begann mich wieder umzuziehen.
» Ich kann dich jedenfalls nicht gebrauchen. Du bist nicht mal ein richtiges Model. Was denkst du dir eigentlich dabei, so hier aufzukreuzen? Ich bin doch nicht die Wohlfahrt!«
Ich beschloss, ihm nicht zu antworten, sondern einfach zu gehen. Auf der Straße überkam mich ein heftiges Gefühl von Traurigkeit. Zuerst diese krasse Schlägerei und jetzt dieser ekelhafte Designer. Wieso können manche Menschen nur so verletzend sein?, grübelte ich und wischte mir eine Träne aus dem Gesicht. Hätte er doch einfach gesagt: » Mario, ich denke, das wird nichts mit uns. Aber vielen Dank, dass du gekommen bist. Mach dir noch einen schönen Abend.«
Ich setzte mich auf eine Treppe, lehnte mich zurück und ließ diese verrückten letzten sechzig Minuten langsam sacken. Edith Piaf sagte einmal: » Nutze deinen Fehler, nutze deinen Makel: Dann wirst du ein Star sein!« Mir gefiel dieser Satz schon immer. Grace Jones benutzte ihn 1985, in dem Jahr meiner Geburt, im Intro von Slave To The Rhythm. Ich holte meinen iPod aus der Tasche, suchte den Song in meiner Playlist und machte mich auf den Nachhauseweg.
Die zweite Regel aus P. Diddy’s 10 Ways To Success lautet übrigens: » GLAUBE AN DICH ! Verliere nie das Vertrauen in deine eigenen Fähigkeiten! Nur du kannst das Unmögliche möglich machen … also beweise der Welt, dass sie falsch liegt.«
Ich gab mir die größte Mühe, doch an Abenden wie diesem wollte ich am liebsten unsichtbar sein und mich nur noch in meinem Bett verkriechen.
Zurück in der WG erzählte ich Jonathan, dem Gangster, mit dem ich schon in Mailand zusammengewohnt hatte, was ich gerade erlebt hatte. Zuerst nahm er mich wie einen kleinen Bruder tröstend in den Arm, dann bot er mir an, die Angelegenheit auf seine Weise zu regeln.
» Homes, gib mir seinen Namen und seine Adresse! Juao und ich fahren auf der Stelle zu dem Bastard und schlagen ihm seine verhurte Fresse ein. Unterwegs besorgen wir uns noch einen Baseballschläger und knüppeln ihm schön seine rechte Kniescheibe zu Matsch. Dann kann er mal sehen, wie es ist, humpelnd durchs Leben gehen zu müssen, dieser motherfucking son of a bitch!«
Johnny war gar nicht mehr zu beruhigen.
» Nein, Mann! Ist alles okay«, meinte ich nur und dankte ihm für sein gut gemeintes Hilfsangebot. An diesem Abend war schon genug Blut vergossen worden.
» Bruder, bist du dir sicher?«
» Easy, bro. Wirklich! Ist alles in Ordnung. Der Typ ist es nicht wert.«
Jonathan nickte und zog an seiner Apfel-Bong. Juan lag schon völlig breit auf seinem Bett und zählte die Sterne. Ich lachte mich jedes Mal schlapp, wenn ich die beiden sah. Johnny, der mexikanische Gangster und das erfahrene Model, und dann der junge Juao aus Brasilien, der in ihm sein großes Vorbild
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