Mit einem Bein im Modelbusiness
Verrückt ist das richtige Stichwort. Ich sehe, du hast alles über die Modebranche verstanden.«
» Jetzt probier doch wenigstens.«
» Okay, Oma. Einen Bissen, aber nur weil du’s bist.«
Obwohl nur dreieinhalb Monate seit meinem letzten Besuch in Paris vergangen waren, kam es mir so vor, als besuchte ich diese Stadt im Januar zum ersten Mal. Ich liebe Paris, aber finanziell gesehen macht es eigentlich keinen Sinn, dort sein Glück zu versuchen. Natürlich, es ist die wichtigste Modestadt der Welt, und schaffst du es dort, stehen dir alle Türen offen. Doch du brauchst eiserne Reserven, um diese Zeit durchzustehen. In Paris ist es nämlich so, dass 70 Prozent deiner Gagen bei der Agentur bleiben. Und bei den hohen Lebenshaltungskosten, die die Stadt einem abverlangt, muss man kein Mathegenie sein, um zu merken, dass das nicht lange gut gehen kann. Außer du wirst für eine große Kampagne gebucht – dann ist deine kleine graue Modelwelt plötzlich wieder bunt wie der Regenbogen.
» Mario, Mario, Mario«, schrie mein französischer Booker so laut ins Telefon, dass ich es mir kaum ans Ohr halten konnte.
» Was gibt’s denn?«
» Du bist auf Option bei H&M. Hättest du morgen Zeit dafür?«
» Für die Kampagne?«, fragte ich nach.
» Jaaaaa!«
» Soll das ein Scherz sein? Natürlich hab ich Zeit. Auch wenn ich keine Zeit hätte, hätte ich welche.«
In dieser Nacht bekam ich kein Auge zu. Obwohl das Casting über meine Agentur in Paris lief, wurde ich für eine weltweite Kampagne gecastet, was bedeutet hätte, mein Gesicht wäre auch in jeder deutschen Stadt zu sehen gewesen. Am Potsdamer Platz in Berlin hätten sie sogar ein 20 x 40 Meter großes Megaplakat von mir aufgehängt. Jaja, das wäre schon ein Coup gewesen, auch finanziell. Von den 130 000 Euro hätte meine Agentur zwar 90 000 behalten, aber mit 40 000 Flocken in der Tasche wäre ich selbst in Paris ganz passabel über die Runden gekommen. Verdammter Konjunktiv!
Ich bekam auch mal ein nettes Jobangebot von Schwarzkopf – Tagesgage: 12 000 Euro.
» Aber die würden deine Haare pink färben und vorher ganz kurz schneiden«, warnte mich mein Booker.
» Ganz ehrlich, für 12 000 Euro können die mich von oben bis unten einmal komplett durchrasieren und doppelt und dreifach einfärben. Klar, mach ich das.«
Es ist wie ein Segen und Fluch zugleich. Du weißt einfach nie, was passiert. Es kann sein, dass du morgen nach New York fliegst und die neue Kampagne für Nike shootest, oder aber, dass Jean Paul Gaultier dich erst gar nicht zum Casting einlädt, obwohl er es dir persönlich versprochen hatte.
» Wie bitte?«
Zuerst dachte ich, Juao, eines der beiden Models, mit denen ich mir die WG teilte, wollte mich auf den Arm nehmen.
» Nein, Mann«, meinte er. » Die Castings für Jean Paul Gaultier sind schon vorbei. Ich weiß das, weil Tony, mein Homeboy aus Barcelona, da war.«
Ich wollte es nicht glauben und rief meinen Booker an.
» Olivier, wieso hat mich Gaultier nicht eingeladen?«, platzte mir der Kragen. » Was soll die Scheiße? Ich bin extra wegen ihm nach Paris geflogen.«
» Hm, I don’t know. He did not call. What can I say?«, antwortete er in seinem lustigen französischen Dialekt, der mich sonst immer zum Schmunzeln brachte, doch dieses Mal war mir nur noch nach Weinen zumute. Wie viele Rückschläge musste ich denn noch verkraften?
Normalweise juckt es mich nicht besonders, wenn ein Designer mir erst Honig ums Maul schmiert und mich dann trotzdem nicht bucht – das ist Modelalltag. Aber bei Gaultier war das anders. Ihm nahm ich es persönlich übel. Wie ein Häufchen Elend kauerte ich enttäuscht in der Kochnische der WG und überlegte fieberhaft, was ich nur wieder falsch gemacht haben könnte. Ich glaubte wirklich, dass es an mir lag.
Ein paar Monate später erzählte mir Peter auf einer Party, nachdem er schon reichlich Wahrheitsserum getankt hatte, den wahren Grund, warum ich nicht zu Gaultier durfte. Es gab nämlich sehr wohl eine persönliche Einladung für mich. Es war nur so, dass sich mein französischer Agenturchef kurz vor der Fashion Week mit dem JPG -Camp zerstritt und alle Models, die von ihm kamen, ausnahmslos gestrichen wurden. Auf diese politischen Spielchen hast du natürlich keinen Einfluss, auch wenn du als schwächstes Glied in der Kette der Einzige bist, der dafür bluten muss. Aber so läuft das halt. Trotzdem war es ein schönes Gefühl zu wissen, dass Jean Paul Gaultier mich unter anderen
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