Mit einem Bein im Modelbusiness
Assistent schoss Polaroids von mir, die er sorgfältig auf einem großen Holztisch verteilte. Die beiden verantwortlichen Designer lächelten mich an und nickten zufrieden. Es lief wie am Schnürchen. Und nachdem sie sogar meinen Walk gut fanden, wusste ich, dass sie mich nehmen würden. Ich wusste es einfach. Die Art und Weise, wie sie untereinander über mich sprachen, war warm und herzlich, und ihre Handbewegungen, die gesamte Körpersprache, war offen und einladend. Sie fühlten mich.
Dann wurde es spannend. Die beiden Designer setzten sich an den Tisch, diskutierten eifrig und schoben die Polaroids von Paul und mir hin und her. Ich stand etwa fünf Meter entfernt und konnte kaum etwas erkennen, denn das gesamte Team war um sie versammelt und wartete auf die Entscheidung. Alexander McQueen selbst war nicht anwesend, jedenfalls sah ich ihn nirgendwo. Nach ein paar Minuten kam seine rechte Hand auf mich zu, um mich noch einmal final zu begutachten. Alles schien perfekt zu laufen, bis er plötzlich argwöhnisch auf meinen rechten Schuh hinunterblickte.
» Oh, der ist ja gar nicht richtig zu«, stellte er zu seiner eigenen Überraschung fest. » Marcus«, rief er einen Assistenten herbei. » So kann das nicht bleiben!«
Marcus und ein weiterer Assistent knieten sich vor mich und gaben ihr Bestes. Der Schweiß tropfte ihnen schon von der Stirn, aber sosehr sie sich auch bemühten, sie bekamen die verdammte Schnalle einfach nicht zu.
» Ey, Leute«, meinte ich. » Bevor ihr euch hier einen abbrecht, lasst mich das mal versuchen. Ich habe da gewisse Erfahrungswerte. Glaubt mir! Gebt mir fünf Minuten, okay?«
Sie nickten, und ich verschwand auf der Toilette. Im Vorbeigehen hatte ich mir eine große Schere vom Tisch der Schneider genommen und machte mich ans Werk. Wie ein wilder Stier versuchte ich, die Stelle am Knöchel meiner Orthese, wo die Schnalle des Schuhs zuschnappen musste, abzuschneiden, aber da war nichts zu machen. Die Zeit reichte einfach nicht aus.
Ich ging wieder zu den beiden Assistenten zurück und erklärte ihnen die Sachlage, doch kaum hatte ich ausgesprochen, dass es aussichtslos sei, fummelten sie schon wieder hektisch und mit hochroten Köpfen an meinem Schuh herum.
Krass, denen ist das mit mir echt wichtig, freute ich mich über ihren Ehrgeiz, aber wenn nicht noch ein Wunder geschieht, sitzen wir morgen früh noch hier.
Ich merkte, wie peinlich ihnen diese Situation war; aber die Anweisung ihres Chefs lautete klipp und klar, die Schnalle zu schließen, also hörten sie einfach nicht auf damit. Mir taten die beiden ein bisschen leid, denn ich sah ja, in welcher Zwickmühle sie steckten, also nahm ich ihnen die Verantwortung ab. Der Zug war sowieso schon abgefahren. Wie so oft.
» Marcus hat wirklich alles versucht!«, rief ich dem Designer zu. » Falls Sie kein größeres Paar Schuhe auf Lager haben, wird sich die Schnalle nicht schließen lassen. Das Ding ist aus Karbon«, erklärte ich weiter und klopfte demonstrativ auf meine Orthese, » wie es auch in der Formel 1 und in der Raumfahrt verwendet wird. Das kann man nicht einfach so eindrücken. Der Scheiß bewegt sich keinen Millimeter.«
Ich sah in die dankbaren Gesichter von Marcus und seinem Kollegen, die immer noch vor mir auf dem Boden saßen, und flüsterte ihnen zu: » Habt ihr noch ein flacheres Paar Schuhe zur Auswahl?«
Sie schüttelten gleichzeitig die Köpfe. Der Designer stand mittlerweile vor einer Pinnwand, an der meine Polaroids hingen, und tippte kurz mit dem Finger gegen meinen Kopf, als wollte er damit sagen: Du wärst es gewesen, mein Junge!
Dann drehte er sich zu mir um.
» Danke! Du kannst dich wieder umziehen, Mario. Super, dass du dir so spät noch die Zeit für uns genommen hast.«
Alles klar. Sie hatten kein zweites Outfit für mich. Das war’s dann wohl.
Enttäuscht von dem erneuten Fehlschlag, fuhr ich die vier U-Bahn-Stationen zurück in die WG , wo ich schon neugierig erwartet wurde. Doch mein Gesichtsausdruck sprach Bände.
Ich solle mir keine Sorgen machen, versuchten die Jungs mich zu trösten. Die Leute von Alexander McQueen würden sicher ein größeres Paar Schuhe für mich auftreiben und gleich morgen früh anrufen, dass alles in Butter sei. Ich würde schon sehen.
Wir machten das immer so, wenn einer von uns kurz vor einem Superbooking stand, weswegen ich fast schon wieder lachen musste. Ach, meine Homies waren einfach toll! Ich dankte ihnen für ihren lieb gemeinten Zuspruch, doch ich
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