Mit einem Bein im Modelbusiness
Models wohnen durften, also die Goldesel, die der Agentur fette Kohle brachten. Dieses Jahr sei aber anscheinend nicht viel los, und sie würden eine Ausnahme machen. Was sich im ersten Moment ganz toll anhörte, war im Endeffekt natürlich total scheiße, denn es gab in der Tat so gut wie nichts zu tun für uns. Ganz Mailand war wie ausgestorben. In der dritten Woche zogen dann noch zwei Holländer bei uns ein, die ich schon aus den letzten Jahren kannte, Rick und Bart – beides coole Jungs!
Da waren wir also, vier geile Typen, die sich zu Tode langweilten. Was sollten wir auch machen? Uns blieb nichts anderes übrig, als am Pool zu chillen, mittags schon die ersten Drinks zu mixen und auszulosen, wer als Nächstes runter an den Kiosk geht, um Nachschub zu besorgen. Selbst wenn wir alle Termine untereinander tauschten, kamen wir auf maximal drei Castings pro Tag. Manchmal waren es auch fünf, aber dann gab es wieder Tage, an denen rein gar nichts passierte. Die Wirtschaftskrise hatte uns voll erwischt. Natürlich wohnten wir immer noch extrem preiswert, aber selbst 20 Euro am Tag waren 600 Euro im Monat, und wenn kaum Jobs zu vergeben sind, dann dampft die Kacke eben auch im Luxusloft. Wir wurden von Tag zu Tag frustrierter.
Yes, I can!
Ein Freund sagte mir einmal: » Mario, es gibt keine Probleme im Leben, nur neue Situationen. Nutze sie einfach!« Einfach? Wie zum Kuckuck sollte ich das anstellen? Ich kam ins Grübeln. Seit Wochen drehte ich mich im Kreis und wartete darauf, dass etwas passierte. Und genau da lag mein Fehler. Ich gab die Verantwortung ab und fiel in die Schimpftiraden auf die Agentur mit ein, die in unseren Augen natürlich die Schuld an der Misere hatte. Vielleicht stimmte das sogar, trotzdem war es an der Zeit, das Steuer wieder selbst in die Hand zu nehmen. Der Kapitän meines eigenen Lebens war immer noch ich.
Und ich wollte rocken und nicht verrotten! Dr. Dres Worte kamen mir in den Sinn: » Manche Leute glauben, dass gute Sachen zu jenen kommen, die warten können. Die Wahrheit ist: Gute Sachen kommen zu jenen, die arbeiten, länger arbeiten und härter arbeiten, die bereit sind, einen Schritt weiter zu gehen als die anderen. Wenn du nur darauf wartest, dass die guten Sachen zu dir kommen, dann kannst du dich auf eine lange Zeit gefasst machen.«
Ich stieg aus dem Pool, nahm mir ein neues Bier aus der Kühlbox und wählte die Nummer meiner Bookerin.
» CARLA «, sagte ich in einem Tonfall, der mir selbst Respekt einflößte. » Ich habe mich entschieden. Ich muss in die Vogue!«
Schon während meines ersten Besuchs in Mailand hatte ich darüber nachgedacht, bei der L’Uomo Vogue, also der männlichen Variante der Vogue, vorzusprechen. Da ich bei der Skin Vogue sogar mal auf Option war, würde es sicher keinen stören, wenn ich auf gut Glück einfach mal Hallo sagte. Damals war ich noch zu schüchtern gewesen und hatte mich nicht getraut, meine Idee bei der Agentur vorzubringen, aber mittlerweile war über ein Jahr vergangen, und ich hatte viel über das Business gelernt. Lektion Nummer eins: Willst du wirklich etwas erreichen, mach klare Ansagen!
Man muss sich immer wieder bewusst machen, dass diese Agenturmädels, so bitchy sie auch sein können, für dich arbeiten und nicht umgekehrt. Du bezahlst mit deinen Jobs deren Miete, also bist du auch derjenige, der die Richtung vorgibt. Betrachte sie als Dienstleister und nicht als deine Kumpels, denn für sie bist du auch nichts anderes. Die meisten Models jedoch, die neu in dem Geschäft sind, lassen sich von all dem glamourösen Gepose so krass einschüchtern, dass sie die Klappe nicht aufbekommen, abends frustriert in der WG sitzen und sich die Augen ausheulen, weil sie denken, dass alles den Bach runtergeht. Ich musste dieses Lehrgeld auch zahlen!
» Wie, du willst in die Vogue?«, meinte Carla verwundert. » Ich meine, natürlich willst du in die Vogue, aber warum erzählst du mir das?«
» Na, ich bin jetzt zum dritten Mal in Mailand«, antwortete ich. » Es ist an der Zeit, dort mal vorstellig zu werden.«
Carla begann zu lachen.
» Wieso lachst du?«, versuchte ich ernst zu bleiben. » Ihr bekommt es ja nicht mal auf die Reihe, mir genügend Castings zu vermitteln. Was soll ich eigentlich bei euch?«
Sie antwortete nicht. Das machte nichts, denn ich kam ohnehin gerade erst richtig in Fahrt.
» Guck mal, ich hab mein Portfolio zusammen. Und in den letzten Monaten sind echt noch schöne Bilder dazugekommen. Lasst mich bei
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