Mit einem Bein im Modelbusiness
in der WG in meinem Bett lag, fiel ich augenblicklich in einen komatösen Tiefschlaf und wachte erst sechzehn Stunden später, am nächsten Nachmittag, wieder auf. Die Sonne schien durchs Fenster, ich hüpfte gut gelaunt unter die Dusche und fühlte mich wie neugeboren. Die Jungs hatten mir in der Küche eine Nachricht hinterlassen, dass sie im Park Basketball spielten. Ich überlegte kurz, sprang ein paar Mal auf und ab, und da ich keinerlei Schwindelgefühle spürte, zog ich meine Trainingssachen an, schnappte mir für unterwegs eine Banane aus dem Obstkorb und folgte ihnen auf den Platz. Nach einem ersten Wurf versuchte ich einen leichten Sprint und merkte keine zwei Sekunden später, dass ich jeden Moment ohnmächtig werden würde. Ich legte mich sofort neben den Platz auf den Boden und atmete tief durch. Da hatte ich mir wohl etwas zu viel vorgenommen.
Mario Jordan
Ich blieb noch eine ganze Weile liegen, beobachtete die Jungs, wie sie ihre Körbe warfen, und musste an meine Jugendzeit denken, als ich unbedingt ins Basketballteam vom ETV , dem Eimsbütteler Turnverein, aufgenommen werden wollte. Ich war gut in Form, konnte rennen, springen, werfen, selbst einen Spagat brachte ich auf die Matte, wenn es sein musste. Es war auch nicht so, dass ich langsamer war als die anderen oder eine schlechtere Technik hatte, ich war einfach nur anders. Und manchmal reicht das eben schon aus, um nicht dabei sein zu dürfen.
Gemeinsam mit Danzko absolvierte ich ein erstes Probetraining. Es war Sommer, weswegen ich natürlich in kurzer Hose in die Halle kam. Die ganze Mannschaft starrte mich mit Monsteraugen an: » Krass! Was hast du denn da?«
Ich klärte sie mit zwei, drei Sätzen über meine Orthese auf und meinte, dass sie während des Spiels keine Rücksicht auf mich nehmen müssten. Ich sei hart im Nehmen. Am Ende des Trainings kam der Coach, der übrigens der Sohn meines Mathelehrers war, auf uns zu und sagte: » Daniel, du kannst auf jeden Fall in die Mannschaft. Bei dir, Mario, bin ich mir allerdings noch nicht sicher.«
» Aber Coach«, setzte sich Danzko wie so oft bruderhaft für mich ein. » Wie kann das sein? Mario ist viel besser als ich. Warum bin ich im Team und er nicht? Sie haben doch gerade gesehen, was er draufhat.«
» Lass gut sein«, flüsterte ich meinem Kumpel zu. » Der Coach weiß schon, was er macht.«
Natürlich konnte ich seine Beweggründe, mich erst einmal nicht zu berücksichtigen, nachvollziehen. Ich nahm ihm das nicht übel, sondern verstand das vielmehr als Ansporn, noch härter an mir zu arbeiten. Wochenlang kam ich mit zum Training, brachte meine Leistung, legte Extraschichten im Fitnessstudio ein, aber wenn es darum ging, bei den richtigen Spielen auf dem Platz zu stehen, saß ich nach wie vor nur auf der Bank.
Im Prinzip war der Ablauf damals nichts anders als bei den meisten Castings heute. Am Anfang mögen mich alle, doch dann, wenn ich die Hosen runterlasse und es darauf ankommt, Booking ja oder nein, denken sich viele Kunden: Oje, ein Behinderter! Ob das gut gehen kann? Na ja, wir schauen lieber erst mal. Aber vielen Dank, Mario.
Nach einigen Monaten nahm der Coach mich auf die Seite und meinte, dass die Zeit gekommen sei, mir eine Chance zu geben. Beim nächsten Spiel würde ich in der Starting Five stehen. Ich war überglücklich und revanchierte mich mit einer Bombenperformance, was prompt dazu führte, dass ich einen Stammplatz bekam. Durch einen Zufall erfuhr ich ein halbes Jahr später, was den Sinneswandel meines Trainers ausgelöst hatte. Als sein Vater, also mein Mathelehrer, nämlich erfuhr, dass er mich trainierte, sagte er zu ihm: » Wenn Mario wirklich gut ist und unter die ersten fünf gehört, dann hole ihn ins Team. Hab keine Angst davor! Überwinde deine geistige Blockade und vergiss für einen Moment die Sache mit seiner Behinderung. Wenn du ihm die Möglichkeit gibst, sich zu beweisen, wirst du sehen, dass er es dir mit doppelter und dreifacher Leistung zurückzahlen wird. Glaube mir, du wirst es nicht bereuen!«
Ich fand das unfassbar. Mein Mathelehrer kannte mich lediglich aus dem Unterricht und hatte mich noch nie spielen sehen. Trotzdem legte er ungefragt seine Hand für mich ins Feuer. Warum? Ich glaubte an mich, deswegen tat er es wahrscheinlich auch.
Das Geheimnis ist, sich einfach nicht entmutigen zu lassen, sondern konsequent seinen Weg zu gehen. Oft ist es nämlich erst der letzte Schlüssel am Bund, der dir die Tür zu deinem Traum
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