Mit einem Fuß im Himmel
gewußt, daß man nach einer durchbummelten Nacht die Dinge leicht grau in grau und bis zur Unkenntlichkeit ins Häßliche verzerrt sieht. Aber Liselotte suchte als Neuling die Ursache ihres Elends allein in ihrem, wie sie meinte, beschämenden Benehmen und nicht, wie es richtiger gewesen wäre, in ihrem durch Alkoholgenuß und unerfülltes Schlafbedürfnis strapazierten Körper.
Das Pressehaus lag im hellen Sonnenschein eines zauberhaften Frühlingstages. Alle Fenster waren geöffnet, und man hörte das Klappern der Schreibmaschinen bis auf die Straße, aber man konnte von dort aus nicht sehen, daß in einem der obersten Stockwerke eine junge Dame auf dem Fensterbrett hockte und offensichtlich nichts tat — Fräulein Schmitz, Till Torstens Sekretärin. Sie ließ sich die warme Sonne ins Gesicht scheinen, rauchte genießerisch eine Zigarette und malte sich aus, wie hübsch es wäre, wenn sie schon in dieser Jahreszeit eine gebräunte Haut zur Schau tragen könnte.
Plötzlich jedoch rutschte sie erschreckt von ihrem Sitz und hinter ihre Schreibmaschine — die Zigarette hatte sie mit kühnem Schwung hinunter auf die Straße geworfen, wo sie einem verblüfften Passanten Gott sei dank nur vor die Füße und nicht auf das schüttere Haar fiel. Die Sekretärin spreizte die Finger zum Tippen und rief geschäftig: »Herein!«
Die Tür öffnete sich und eine junge Frau, die einen enganliegenden Pullover trug, erschien auf der Schwelle. Die Dame hatte in der Redaktion des Ausblick das wichtige Amt, das Vorzimmer zu schmücken und zu behüten und die Telefonverbindungen herzustellen.
»Ach, du bist’s, Lilly!« rief Till Torstens Sekretärin erleichtert.
»Tante Hedwig noch nicht da?«
»Nee! Wird auch so bald nicht aufkreuzen, möchte ich annehmen!«
»Woher weißt du?«
»Eine perfekte Sekretärin weiß alles, Lilly, Ehrensache!«
»Mach’s nicht so spannend, mein Schatz. Du vermasselst dir sonst nur die Pointe!«
»Pointe ist nicht, ich muß dich enttäuschen! Er hatte Minnedienst gestern abend, das ist alles!«
»Ach so!« meinte Lilly, wenig beeindruckt. »Dann komm doch einen Sprung zu mir, ja? Ich habe Wasser für eine Tasse Kaffee aufgesetzt!«
»Mit Vergnügen! Kaffee kann ich brauchen!« stimmte Fräulein Schmitz freudig zu und folgte Lilly in das elegant eingerichtete Vorzimmer, das ganz dazu angetan war, Besucher mit tiefer Ehrfurcht vor der Macht und dem Reichtum der Presse zu erfüllen. »Ich hab’ nämlich auch eine lange Nacht hinter mir!«
»Wirklich? War’s nett?« erkundigte sich Lilly und gab dabei in zwei Tassen je einen Löffel Instant-Kaffee.
»Ganz reizend! Ich war mit meinem Zukünftigen aus, um die Wahrheit zu sagen!«
»Was!? Du willst heiraten!? Aber davon weiß ich ja gar nichts!«
»Hat doch keinen Zweck, so was gleich in alle Welt hinauszuposaunen! Behalt’s für dich, wenn es möglich ist!«
»Aber das ist ja fabelhaft! Ich gratuliere!«
»Oh, danke! Ich bin natürlich auch sehr froh! Diese ewige Büroarbeit! Auf die Dauer macht sie keinen Spaß. Und er hat eine sehr gute Position!«
»Großartig, das freut mich wirklich für dich! Wann ist es soweit?«
»Was meinst du damit?«
»Na, eure Hochzeit! Das ist doch wohl klar!«
»Unsere Hochzeit, ja natürlich! Sobald wie möglich, versteht sich! Wir müssen nur noch warten, bis er geschieden ist!«
Lilly sah Till Torstens Sekretärin einen Augenblick an, als wüßte sie nicht, ob sie weinen oder lachen solle, dann entschied sie sich, keine Miene zu verziehen, und sagte nur aus tiefstem Herzen: »Wir armen Frauen!« Und sie beschäftigte sich intensiv damit, das kochende Wasser auf den Kaffee-Extrakt zu gießen.
»Was willst du damit sagen?« forschte Till Torstens Sekretärin leicht irritiert.
»Ach, nur so!« wich Lilly aus. »Aber was ich dich noch fragen wollte! — Gibt Tante Hedwig immer noch solch sonderbare Ratschläge? Ich meine, streng und gerecht, du weißt schon!«
»Der hat sich nicht geändert, bis jetzt noch nicht! Manchmal überlege ich... « Till Torstens Sekretärin vollendete den Satz nicht, sondern rührte nachdenklich in ihrer Tasse.
»Was überlegst du?« forschte Lilly.
»Ob seine Ratschläge wohl ein bißchen menschlicher werden! Wenn er erst verheiratet ist, meinte ich!«
»Im Gegenteil! Da kannst du Gift drauf nehmen!« erklärte Lilly mit Nachdruck. »Ehemänner sind verbittert!«
Fräulein Schmitz blieb keine Zeit, diese Behauptung zu verdauen, denn die Türe öffnete sich ganz
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