Mit einem Pferd durch dick und dünn
Schweigend legte er seine Beute vor Herrn Henrich auf den Tisch und übergab Bille Hanibals Zügel. Mit einem Blick, der tiefste Geringschätzung ausdrückte, bestieg er Zottel.
Bille fühlte den Zorn wie eine kochendheiße Welle in sich aufsteigen. Zeig’s diesem Affen! dachte sie, laß mich nicht im Stich, mein Kleiner!
Als nächster ging Simon auf die Strecke, ihm folgte Bille. Hanibal war zwar eine Schönheit, aber sein Temperament erinnerte stark an den alternden Turnierstar Lohengrin. Bille hatte Mühe, ihn auch nur einigermaßen auf Touren zu bringen. Jetzt wird mir einiges klar, dachte sie. Schröders haben für ihre Kinder die reinsten Schaukelpferde angeschafft, damit die armen Kleinen nicht runterfallen und sich schmutzig machen.
„Nun schlaf nicht ein, Junge, ich glaube, du hast Blei in den Hufen. Dir muß man wohl erst Pfeffer in den Hintern streuen, ehe du angaloppierst!“
Immerhin nahm Hanibal die Hindernisse ohne Widerspruch und mit dem gelangweilten Gehabe eines berühmten Künstlers, der auf einem Kaffeekränzchen Gedichte vortragen muß. Den Hang erstieg er wie ein Achtzigjähriger und hinunter rutschte er auf dem Hinterteil.
„Das wird Bernhard unheimlich freuen!“ sagte Bille kichernd. „Er liebt es so, dich zu putzen!“
Während Bille durchs Ziel galoppierte und Bernhard sich vor dem ersten Hindernis mit Zottel auseinandersetzte, kam Daniel auf der Waldwiese an. Er ritt bereits Yvette, Brigittes Stute.
„Brigitte kannst du streichen, Papi, sie hat aufgegeben“, rief er schon von weitem. „Ich fand sie heulend vor dem Schafstall. Sie ist in den Teich gefallen und als sie dann noch die Schafe sah, war es aus und vorbei. Wir haben die Pferde getauscht, und sie ist mit Asterix nach Hause geritten.“ Daniel konnte den Triumph in seiner Stimme kaum verbergen.
„Gut, hast du alle Aufgaben gelöst? Dann kannst du gleich weiterreiten. Ich komme mit dem Wagen nach Groß- Willmsdorf herüber.“ Herr Henrich packte seine Liste ein und klappte den Campingtisch und den Hocker zusammen.
Im Groß- Willmsdorfer Park drängten sich die Zuschauer. Erwachsene und Kinder umringten die beiden Stangen, die das Band mit dem Wort „Ziel“ hielten. Etwas abseits war ein Tisch aufgestellt, auf dem man die Trostpreise und den auf Pappe aufgemalten Gutschein für drei Langspielplatten — den ersten Preis — bewundern konnte. Neben Frau Henrich stand Fräulein Fuchs, die Haushälterin, mit einem Korb voller Kuchen und belegten Brötchen. Zur Erfrischung für die durstigen Reiterkehlen hatte man auch einen Kasten mit Cola und Limo nicht vergessen.
Bille, Bettina, Florian und Simon stürzten sich mit Heißhunger auf die leckeren Schinkensemmeln und Kuchen, während Jochen nervös hin und her ging und auf die Ankunft seiner Geschwister wartete. Seine durchnäßten Lederstiefel quietschten schauerlich bei jedem Schritt.
„Jetzt bin ich gespannt auf Bernhards Ankunft“, sagte Bille vergnügt. „Auf was wetten wir, daß Brigitte aufgegeben hat?“
„Auf gar nichts. Das ist doch so klar wie Tinte“, sagte Florian. „Da!“
„Quatsch, das ist doch Daniel.“
Daniel galoppierte durchs Ziel und sprang strahlend aus dem Sattel. Er zwinkerte den Freunden zu.
„Wo ist Brigitte? War sie nicht vor dir an der Reihe?“ fragte Jochen unsicher.
„Doch. Aber sie hat aufgegeben. Sie hatte Angst vor den Schafen, weißt du?“
Jochen biß sich auf die Lippen. „Und Bernhard? Ist er nicht auch vor dir losgeritten?“
„Das ist er“, sagte Daniel freundlich. „Aber er scheint Schwierigkeiten mit Billes Pony zu haben.“
Jochen schnaufte verächtlich. „Das glaube ich nie im Leben!“
„Dann wirst du es gleich sehen“, sagte Bille grinsend. „Achtung, Leute! Der letzte Reiter geht durch’s Ziel! Einen Tusch für den letzten Reiter!“
Das war Karlchens Signal. Er drückte auf die Taste, und als Zottel sich dem Ziel näherte, rauschte Walzermusik auf. Die „Schöne blaue Donau“, seine Nummer! Zottel stutzte, machte vor dem Ziel eine Vollbremsung, warf freudig den Kopf hoch und begann, sich im Walzertakt in kleinen Galoppsprüngen um sich selbst zu drehen. Bernhard wußte nicht wie ihm geschah. Er hatte die Steigbügel verloren und die Zügel hingen irgendwo zwischen Zottels Ohren. Die Zuschauer quietschten vor Vergnügen und applaudierten wie wild. Das Gelächter übertönte fast die Musik. Als es Bernhard mit keinem Mittel gelingen wollte, Zottel durch das Ziel zu dirigieren, sah er sein
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