Mit einer Prise Glück und Liebe
das vierte Glas, das ich über Nacht draußen stehen gelassen habe. Darin liegt das Goldstück meiner Starterteige, der Mutterteig meiner Großmutter, der sich bereits seit über hundert Jahren im Familienbesitz befindet; seit Bridget Magill, die Großmutter meiner Großmutter, ihn aus Irland nach Buffalo mitgebracht und später in die Minenarbeiterlager von Cripple Creek mitgenommen hat.
Ich schalte das Radio ein, suche einen Klassiksender und drehe die Lautstärke ganz herunter. Katie wird die Musik zwar nie im Leben dort oben hören, aber ich will kein Risiko eingehen. Das arme Ding hat so tiefe Ringe unter den Augen. Kaum vorstellbar, was sie in den letzten Jahren durchgemacht hat.
Ich nehme eine frische Schürze vom Haken an der Tür, deren Baumwollstoff schon ganz weich vom vielen Waschen ist, wickle die langen Bänder einmal um mich herum und binde sie vorn zu einer Schleife. Im Radio läuft Mozarts Klavierkonzert in C-Dur, das für viele als das eleganteste seiner Werke gilt. Leise summend hole ich eine Aluminiumschüssel unter dem Tresen hervor und trete vor die Plastikbehälter an der Wand, in denen ich die Mehlsorten – Weiß-, Roggenmehl und Weizenvollkornmehl –, Haferflocken und diverse Zuckerarten, braun, weiß und Rohrzucker, aufbewahre. Darüber befinden sich die unzähligen Schöpfkellen und Messbecher.
Die Chemie des Brotbackens ist nicht so, wie man es sich landläufig vorstellt. Alles hat einen Einfluss auf die Mischung aus Trocken- und Feuchtzutaten, insbesondere bei den Bauernbroten, die ich heute Nacht backen werde. Mit der kleinen Schaufel fülle ich Weißmehl in die Schüssel und trage sie zur Kochinsel zurück, ehe ich die restlichen Zutaten und Utensilien zusammensammle – Zucker, lose Hefe, um dem Mutterteig ein wenig auf die Sprünge zu helfen, eine Teigkarte und Klarsichtfolie, Messbecher und Löffel.
Als ich die Trockenzutaten in eine große Schüssel gebe, kehren meine Gedanken wieder zu Katie zurück. Morgen kommt der Hund. Vielleicht gehe ich vorher noch mit ihr zum Friseur und kaufe ihr ein paar neue Sachen. Der gesamte Inhalt ihres Koffers stammt unübersehbar aus einem Secondhandshop, und vieles davon ist ihr zu klein, völlig zerschlissen oder fleckig. Am schlimmsten sind ihre Höschen. Kein einziges ohne Löcher. Ich habe sie gewaschen und ordentlich zusammengefaltet auf den Stuhl neben der Zimmertür gelegt. Die Kleine lag im Bett und schlief tief und fest. Ihr Körper war so dünn, dass er sich kaum unter der Decke abzeichnete.
Ich sehe sie vor meinem geistigen Auge – wie sie nach der Verhaftung ihrer Mutter in einem leeren Haus aufwacht, sich eines dieser zerschlissenen Höschen anzieht und ihr widerspenstiges Haar zu bändigen versucht. Ich muss mich für einen Moment auf der Arbeitsfläche abstützen und tief durchatmen, um die aufsteigende Wut niederzukämpfen.
Wie hatte sie nur durch so viele Raster fallen können? Ihr Vater war im Krieg, natürlich, und Sofia lebte hier, aber redeten sie denn nie mit ihr? Und was war mit ihren Lehrern? Mit den Eltern ihrer Freundinnen? War denn niemandem etwas aufgefallen?
Offenbar nicht. Katie hatte mit ihrer Mutter über Monate oder sogar noch länger in einer Bruchbude ohne fließend Wasser und irgendwelche Haushaltsgeräte gehaust. Katie war schlau genug, die Leute das glauben zu machen, was sie gern glauben wollten.
Trotzdem. Diese Schlüsselbeine.
Die heiteren Klänge eines Menuetts ertönen, als wollten sie meine trüben Gedanken vertreiben. Ich rühre die flüssigen Zutaten zusammen und stelle sie beiseite, um mich den anderen zuzuwenden, dann lege ich den Sauerteig in ein sauberes Glas mit einem Etikett darauf. Er kommt wieder in den Kühlschrank, in einem kleinen Behälter, den ich mit einem Schloss versehen habe, zu dem nur ich einen Schlüssel besitze. Meine Tante Poppy besitzt ebenfalls einen Teil des alten Familienteigs, aber keiner schmeckt wie der andere. Poppy ist ein fröhlicherer Mensch als ich, deshalb schmeckt ihr Teig auch süßlicher als meiner.
All unsere Sauerteig-Starter stammen vom selben Mutterteig, den die gute alte Bridget Magill im Jahre 1845 aus Irland nach Amerika gebracht hat. Wie sie es geschafft hat, ihn durch die schwere Hungersnot dort zu bekommen, ist ein Rätsel, das keiner von uns so genau hinterfragt.
Wir wissen nur, dass unsere Vorfahrin ihre Sauerteigkultur in den großen Haushalt eines Bankiers mitbrachte, wo sie als Köchin beschäftigt war, und das köstlichste Brot daraus
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