Mit einer Prise Glück und Liebe
ihrer Mutter, manipulativ und egoistisch, in denen sie Katie anbettelt, sie doch zu besuchen.
Also El Paso.
Eine halbe Stunde später stehe ich vor Jonahs Tür. Er öffnet, nur in Jeans und mit zerzaustem Haar. Mir wird bewusst, dass es noch nicht einmal sieben Uhr ist. »Ramona, was ist passiert?«
»Katie«, sage ich und erzähle ihm, was vorgefallen ist. »Ich fahre jetzt nach El Paso und suche sie. Ich wollte dir nur Bescheid sagen.«
Er fährt sich mit der Hand durchs Haar. »Gib mir zehn Minuten.«
»Du musst das nicht tun.«
Er schüttelt den Kopf und öffnet die Fliegentür. »Ich werde dich nicht allein gehen lassen. Komm rein und warte, während ich mir die Zähne putze.«
DREIUNDFÜNFZIG
Katie
I n Albuquerque legt der Bus einen Zwischenstopp ein. Katie lässt ihren Pulli auf dem Sitz liegen und bittet die alte Frau auf der anderen Seite des Gangs, ein Auge darauf zu haben. Die Frau nickt mit ernster Miene, woraufhin Katie zu den Waschräumen geht, um sich die Zähne zu putzen und sich Wasser ins Gesicht zu spritzen.
Bei der Abfahrt um ein Uhr früh waren nur wenige Fahrgäste eingestiegen – ein Mann mit rasiertem Schädel, der wie ein Soldat aussieht, und zwei Frauen mit einem Baby, die nur Spanisch sprechen. Die Leute, die bereits im Bus gesessen hatten, schliefen alle. Sie hatte einen freien Fensterplatz gefunden.
Es war nicht ganz einfach gewesen, mitten in der Nacht zum Busbahnhof zu kommen, vor allem nicht, da sie ihr Budget im Auge behalten musste. Sie war zwar nicht stolz darauf, aber sie hatte Geld aus dem Safe in Ramonas Büro geklaut, der nie abgeschlossen war. Sie nahm zweihundert Dollar in Zwanzigern und verstaute sie in ihrem BH, so wie ihre Mom es ihr gezeigt hatte. Trotzdem hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie nur zu gut wusste, wie es um die Finanzen der Bäckerei stand.
Aber um ihre Mutter stand es ebenfalls schlecht. Genauso wie um Katie. Trotzdem. Sie würde alles wieder zurückzahlen.
Letzten Endes musste sie zu Fuß die belebte Colorado Avenue bis zum Supermarkt hinuntergehen, der rund um die Uhr geöffnet hatte. Sie bat den Typen hinter dem Tresen mit dem goldenen Schneidezahn, ihr ein Taxi zu rufen, was er auch tat, ohne irgendwelche Fragen zu stellen. Wahrscheinlich hielt er sie für älter, als sie war.
Der Taxifahrer hingegen löcherte sie mit Fragen und musterte sie ständig im Rückspiegel, was sie total nervös machte. Würde er die Cops rufen? »Ich lebe im Heim und will zu meiner Mami, die im Krankenhaus in El Paso liegt«, sagte sie schließlich.
»Wäre es nicht klüger gewesen, bis morgen früh zu warten, wenn es hell ist?«
Katie schüttelte den Kopf. »Dann lassen sie mich nicht raus.« Sie suchte seinen Blick im Rückspiegel. »Was würden Sie tun, wenn Sie zu Ihrer Mom wollten?«
Er nickte nur. »Pass gut auf dich auf, Herzchen«, sagte er, als er sie aussteigen ließ. »Es gibt nicht nur nette Leute auf der Welt.«
»Glauben Sie mir«, erwiderte sie, »das weiß ich inzwischen.«
»Das wundert mich nicht.«
Auch eine Fahrkarte zu ergattern entpuppte sich als heikle Angelegenheit, da die Frau am Schalter meinte, sie dürfe sie nur an Erwachsene verkaufen. Katie dachte an ihre Mutter, die mit einem Dealer herumalberte. »Meine Mutter ist Meth-Junkie. Ich schätze, ihr ist es völlig schnuppe, ob ich mit dem Bus nach Fort Bliss fahre, um meinen Vater zu besuchen.«
Ihre Miene wurde weich. »Er ist Soldat, hm?«
Katie nickte. »Er war im Irak, aber jetzt ist er wieder hier.«
Die Frau verkaufte ihr eine Fahrkarte für dreiundsechzig Dollar. Als Katie sich schließlich auf ihren Fenstersitz fallen ließ, war sie den Tränen nahe, ohne zu wissen, weshalb. Es war ganz still im Bus, nur das Baby quengelte ein bisschen. Sie fühlte sich wie der einsamste Mensch auf der ganzen Welt. Hatten ihre Gedanken bisher ohrenbetäubend laut in ihrem Kopf gehallt, herrschte nun eine lähmende Stille, mit der sie nicht umzugehen wusste. Sie wünschte, Merlin wäre bei ihr. Sie sehnte sich nach dem Duft von frisch gebackenem Brot.
Steig aus und fahr nach Hause , sagte eine Stimme in ihrem Kopf.
Und dann dachte sie an ihren Vater, der versucht hatte, Selbstmord zu begehen, und sie einfach zurückgelassen hätte, als wäre sie eine benutzte Kaffeetasse, und blieb sitzen. Sie kuschelte sich unter ihren Pullover, benutzte ihren Rucksack als Kopfkissen und schlief bis Albuquerque durch.
In Albuquerque ist es noch ziemlich früh, und es sind nur wenige Leute auf
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