Mit einer Prise Glück und Liebe
wo sie ihren Hund das letzte Mal gesehen hat. Sie bleibt auf dem Rasen stehen, dreht sich langsam um die eigene Achse und ruft laut: »Merlin! Merlin!«
Sie weiß, dass es eigentlich ihre Schuld ist. Sie war so müde und wollte sich unbedingt wieder hinlegen, aber wie es aussieht, ist sie genauso wie ihre Mutter – unfähig, sich um ein Lebewesen zu kümmern, das von ihr abhängig ist. Allein beim Gedanken daran kommen ihr die Tränen. »O Merlin! Ich werde in Zukunft auch immer gut auf dich aufpassen. Das verspreche ich. Bitte, komm zurück!«
»Ihm ist schon nichts passiert«, sagt eine Frauenstimme. »Er erkundet nur die Nachbarschaft. Er ist ein kluger Hund.«
Es ist die alte Frau, die gestern Abend unter dem Baum gesessen hat. Katie runzelt die Stirn. Sie befindet sich im hinteren Teil des Gartens, wo die hohen, schlanken lila, blauen, braunen und pfirsichfarbenen Blumen – die schönsten Blumen, die Katie je gesehen hat – stehen, von denen sie einige abschneidet. Sie trägt einen dünnen weißen Morgenrock mit kleinen Blütenzweigen darauf und hat sich einen Schal um den Kopf geschlungen. Offenbar ist sie gerade erst aufgestanden.
Trotzdem beruhigen ihre Worte Katie ein ganz klein wenig. »Woher wissen Sie das?«
»Ich habe ihn gesehen.« Die Frau schneidet eine Blume am Stängelansatz ab und legt sie zu den anderen in ihrem Korb. »Auf dem Weg hierher.«
»Und da lief er herum?«
»Nein, ehrlich gesagt, hat er sich in irgendeiner stinkenden Pampe gewälzt, aber ich habe ihm angesehen, dass er nur ein bisschen herumstreunt. So was machen Hunde nun mal.« Sie hält eine Blume in der Farbe einer Banane mit einem dunkelbraunen Rand in die Höhe, deren Blütenränder sich leicht kräuseln wie ein Sommerkleid in der Brise. »Wie findest du die hier?«
»Dürfen Sie diese Blumen überhaupt abschneiden?«
»Aber ja. Ramona und ich haben einen guten Draht zueinander.«
»Die Blumen sind wunderschön«, sagt Katie und vergisst für einen Moment ihren Argwohn. »Schöner als alles, was ich bisher gesehen habe.«
Die alte Frau lächelt, und Katie fällt auf, dass ihr ein Zahn fehlt. Als hätte sie es in derselben Sekunde gemerkt, beginnt die Frau zu kichern und schlägt sich die Hand vor den Mund. »Oh, tut mir leid. Ich glaube, ich habe meine Prothese noch nicht drin, was?« Noch immer liegt ein belustigtes Funkeln in ihren strahlend blauen Augen. »Wenn du Blumen magst, kann Lily dir sicher einiges beibringen.«
»Wer?«
»Ramonas Mutter.«
Katie erschaudert plötzlich. In diesem Moment ruft jemand ihren Namen. »Ich muss jetzt gehen.«
Die alte Frau nickt. Katie macht kehrt und läuft um das Haus herum, in der Hoffnung, Merlin sei zurückgekommen, auch wenn es noch so unwahrscheinlich ist.
ZWANZIG
Ramona
A ls Katie in den Garten davonstürmt, mache ich mich widerstrebend wieder an die Arbeit. Die Mädchen und ich räumen die Laibe in die Regale, die wir während der Nacht gebacken haben und deren köstliches Aroma nun den Raum erfüllt. Jimmy setzt Kaffee auf, und als alles fertig ist, gehe ich mit einem feuchten Lappen nach draußen, um die Tafel abzuwischen und die heutigen Spezialitäten anzuschreiben:
WILLKOMMEN IN MOTHER BRIDGET’S BOULANGERIE
Unsere heutigen Spezialitäten:
Gougères
Rosinen-Walnuss-Grenoblois
Sauerteig-Weizen-Brötchen
Frische Muffins mit verschiedenen Füllungen
Gerade als ich fertig bin, ruft eine Stimme hinter mir: »Hallo.«
Ich drehe mich um und sehe einen Mann – denselben, der vorhin auf seiner Veranda saß, als ich nach Merlin gesucht habe – mit einem fröhlichen – die Zunge hängt ihm aus dem Maul – Hund im Schlepptau die Einfahrt heraufkommen.
»Merlin!« Ich laufe die Treppe hinunter. »Wo hast du nur gesteckt, du böser Junge?«
»Vorsicht«, warnt der Mann. »Er hat sich in irgendeinem stinkenden Zeug gewälzt.«
Ein widerlicher Gestank schlägt mir entgegen. »Igitt, Merlin. Pfui!«
Merlin setzt sich und sieht mich an, sichtlich hochzufrieden mit sich. Auf seinem hellen Nackenfell prangt ein dunkler Schmutzfleck. Er scheint vor Begeisterung über seinen kleinen Ausflug übers ganze Gesicht zu strahlen, wobei er seine Zähne und seine schlabberige Zunge entblößt. Allem Anschein nach hat der Mann eine grüne Krawatte anstelle einer Leine an Merlins Halsband befestigt. Ich bin so glücklich, ihn zu sehen, dass ich am liebsten in Tränen ausbrechen würde.
»Danke, danke, vielen Dank«, sage ich und sehe auf. »Sie haben ja keine Ahnung, was
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