Mit einer Prise Glück und Liebe
über uns niedergeht. Sie ist so dünn und ihr Haar so wild und zerzaust, dass ich unwillkürlich an eine ungezähmte Waldfee denken muss. In ihren Augen steht ein Ausdruck gequälter Hoffnung, bei dessen Anblick mir die Stimme versagt. Stattdessen packe ich ihre Hand und führe sie in den morgendlichen Sonnenschein hinaus, wo ihr stinkender Hund sie bereits sehnsüchtig erwartet.
»Merlin!«, schreit sie, stürzt zu ihm und kommt schlitternd auf den Knien neben ihm zum Stehen wie ein Baseballspieler, der sich auf die Homebase stürzt.
Er gibt ein Bellen von sich und leckt ihr das Gesicht ab, ehe er mir über ihre Schulter hinweg einen Blick zuwirft. Ich könnte schwören, dass er mir zuzwinkert.
»Haben Sie ihn gefunden?«, fragt sie Jonah.
»Er hat in meinem Garten herumgeschnüffelt. Deine Mutter hat ihn vorhin gesucht …«
»Sie ist nicht meine Mutter«, unterbricht Katie und reißt Jonah die Krawattenleine aus der Hand. »Nicht mal meine Großmutter!«
»Katie«, sage ich mit mildem Tadel. »Es gibt keinen Grund, so unhöflich zu sein. Geh mit Merlin in den Garten und spritz mit dem Gartenschlauch den gröbsten Schmutz ab. Ich komme gleich nach, dann bringen wir ihn nach oben und baden ihn.«
»Ja, ja.« Sie verschwindet in Richtung Garten.
»Das ist also nicht deine Tochter?«
»Nein, das ist die Stieftochter meiner Tochter Sofia.« Ich hole tief Luft. »Das ist eine lange Geschichte, aber ich muss mich für sie entschuldigen.«
»Schon gut.« Er zuckt lässig die Achseln. »Du hast überall Blütenblätter.«
Ich lache nervös und wische mir die Fliederblüten von Schultern und Kopf. »Danke.«
»Ich sehe schon, im Augenblick passt es nicht besonders gut«, sagt er. »Aber ich würde gern bei Gelegenheit einen Kaffee mit dir trinken und über alte Zeiten reden.«
Ich bin gefangen von dem kaum wahrnehmbaren Duft nach Ingwer und Pfirsichen, der von ihm ausgeht. »Ja«, sage ich. »Das wäre schön. Ich muss bis zwei Uhr arbeiten, aber danach habe ich frei.«
»Dann komme ich einfach wieder her.«
Ich spüre einen wehmütigen Stich, als er sich zum Gehen wendet. »Jonah«, presse ich mühsam hervor.
Er dreht sich noch einmal um.
»Möchtest du vielleicht einen Laib Brot mitnehmen? Es ist ganz frisch. Du solltest es gleich probieren.«
Er kommt zurück. »Ja, das würde ich gern.«
Ich gehe vor ihm her in die Bäckerei und rufe Heather her, eine der College-Studentinnen, die im Verkauf für mich arbeiten. »Gib dem Herrn hier bitte einen Laib mit. Er soll sich einen aussuchen.«
»Klar.« Sie lächelt und zieht ein großes Stück Papier aus dem Spender. »Welches hätten Sie denn gern, Sir?«
Jimmy ruft aus der Küche nach mir. »Ruf mich später an«, sage ich zu Jonah. »Ich muss los.«
Gemeinsam baden Katie und ich den verdreckten Merlin und rubbeln ihn trocken. Als wir endlich fertig sind, haben wir alle drei Bärenhunger. Wir geben ihm etwas zu fressen, dann nimmt Katie ihn an die Leine und geht Gassi, ehe sie ihn nach oben in ihr Zimmer bringt, damit er auf dem Balkon schlafen kann.
Nach einer Weile betritt sie die Backstube, frisch geduscht und in den neuen, sauberen Klamotten, die wir für sie gekauft haben. »Tut mir leid, dass ich vorhin so unhöflich zu dem Mann war«, sagt sie.
»Schön, dass du dich entschuldigst, aber ich habe mich ziemlich über dich geärgert. Immerhin hat er uns einen großen Gefallen getan.«
Sie senkt den Kopf. Ihr wild gelocktes Haar steht in sämtliche Richtungen ab. »Tut mir leid«, brummt sie mürrisch, aber ich nehme die Entschuldigung trotzdem an.
Heather kommt in die Backstube gelaufen. »Ist das Rosinenbrot schon aus?«
Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Ist es tatsächlich gerade einmal halb neun? »Sieh nach, ob auf den Kühlgittern noch welche liegen. Wenn nicht, sind sie ausverkauft.«
Sie sucht die Gitter ab, zieht mehrere Laibe Sauerteigbaguette heraus, die noch warm genug sind, um den typisch hefigen Geruch zu verströmen, und ein paar Mehrkornbrote. Ein leiser Schrei der Erleichterung entfährt ihr, als sie die beiden letzten Laibe Rosinenbrot entdeckt. »Gott sei Dank! Mrs. Klamkein steht im Laden, und Sie wissen ja, wie sie ist.« Sie hastet in den Laden zurück.
Ich engagiere gern Studentinnen für den Verkauf, zugegebenermaßen am liebsten diesen Typ Mädchen, der eine frische Natürlichkeit verströmt. Anscheinend sehen die Brote gleich viel verlockender aus, wenn sie von einem Mädchen verkauft werden, das aussieht, als wäre
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