Mit falschem Stolz
über Vorhaltungen von dem guten Pater machen lassen, dass sie unbegleitet durch die Stadt gelaufen war. Sie gab sich reumütig und verschwieg dem Mann, der einst ihr gütiger Lehrer gewesen war, dass es sich bei dem Toten um ihren Ehemann handelte. Das hätte den herzensreinen, doch weltfremden Priester in tiefste Verwirrung gestürzt. Und ihr seinen unerwünschten Trost eingebracht, statt sein Trachten darauf zu richten, ihren Freunden beizustehen.
Pater Henricus mochte ein sanfter Mann sein, doch er war auch von großer Hartnäckigkeit, wenn es galt, Bedürftigen zu helfen. Das lernten der Turmvogt und die Wachen kurz darauf. Alyss hielt sich wohlweislich zurück, sie zügelte die ungeduldigen Worte, mit denen sie den Männern zu befehlen wünschte, Catrin und Mats freizulassen. Der Pater erreichte es auf seine milde Art, dass man ihn zu den Gefangenen vorließ. Sie folgte ihm und den Wachen so unauffällig wie möglich und erlebte dann, wie wahrlich überzeugend Henricus Catrins Stellung als geachtete, gottesfürchtige Begine darstellte und ihre Verwirrung ob des furchtbaren Erlebnisses glaubhaft erläuterte.
Catrin, mit starken Lederriemen an ein Bett gebunden, schwieg, sandte aber Alyss flehentliche Blicke. Die gab ihr mit einem aufmunternden Nicken zu verstehen, dass Hoffnung bestand. Mats hingegen, mit Ketten gefesselt, starrte nur dumpf vor sich hin. Er wirkte wie ein verwundetes Tier, und sie konnte den Wachen nicht verdenken, dass sie ihn für schwachsinnig hielten.
»Wir können sie nicht freilassen, Pater Henricus. Sie haben einen Mann umgebracht«, beharrte der Turmvogt. »Das müsst Ihr einsehen. Ihnen muss der Prozess gemacht werden. Wenn sie unschuldig sind, wird es sich vor Gericht erweisen.«
»Doch ist Frau Catrin keine Frau von Witz und Sinnen. Wenn sie schon ihre Unschuld beweisen muss, dann bringt sie in die Turmstube. Ich komme für die Kerkermiete auf«, mischte sich Alyss nun doch ein.
»Wer seid Ihr, Weib?«
»Alyss vom Spiegel, Tochter des Ratsherrn Ivo vom Spiegel«, sagte sie so kühl wie möglich.
»Und Ihr bürgt für diese Frau?«
»Sie ist meine Ziehschwester, ich kenne sie zeit meines Lebens.«
»Nun gut. Bringt sie in das Gelass oben«, wies der Turmvogt die beiden Männer an.
»Und behandelt sie sanft, sie ist verstört«, fügte Pater Henricus hinzu.
»Begleitet Ihr sie, Pater«, sagte Alyss leise. »Ich will versuchen, mit Mats zu sprechen.«
Catrin schwankte, als sie aufstand, doch sie stützte sich auf den starken Arm des Wachmanns und verließ mit dem Priester an ihrer Seite die Tollkammer. Alyss ging zu dem Messerschleifer. Der Turmvogt packte sie am Ellenbogen und riss sie zurück.
»Er ist gemeingefährlich. Nähert Euch ihm nicht.«
»Mats Schlyffers ist der gutmütigste Mann unter Got tes Sonne«, fauchte sie. »Nur sprechen kann er nicht. Seht Ihr denn nicht, dass er einen Wolfsrachen hat?«
»Wie ein wildes, blutrünstiges Tier!«
»Quatsch!«
Alyss machte sich los und ging zu dem zusammengekauerten Mann.
»Mats, erkennt Ihr mich? Ich bin Alyss, eine Freundin Eurer Tochter Gislindis.«
Umflorte Augen richteten sich auf sie.
Sachte streichelte sie seine Hand.
»’onya«, lallte er.
Alyss brauchte einen Moment, bis sie verstand.
»Nein, ich bin nicht Ronya, dein Weib. Ich bin Alyss. Du kennst mich doch, Mats. Du hast meine Rebmesser geschliffen.«
»’lindis.«
»Ja, Gislindis wird bald hier sein und sich um dich kümmern.«
Er war verwirrt. Vielleicht hatte er den Mord beobachtet, vielleicht war er auch betrunken. Eine Wolke von Bierdunst umgab ihn. Es war vermutlich jetzt nicht viel aus ihm herauszubekommen. Gislindis verstand sein gutturales Sprechen besser und würde auch wissen, wo ihr Vater sich in der Nacht aufgehalten hatte. Sie streichelte noch einmal Mats’ Hand, erhob sich dann und wandte sich an den Turmvogt.
»Und nun lasst uns die Angelegenheit der Kerkermiete klären.«
Catrin würde ein Bett, eine warme, saubere Decke und ein Polster bekommen, dreimal am Tag eine gute Mahlzeit, Kleider zum Wechseln und Wasser zum Waschen. Besuch durfte sie unter Aufsicht auch empfangen. Das war es, was Alyss für sie erreichte. Als sie den Turm am Eigelstein verließ, traf dort eben Marian ein. Er wirkte ungehalten.
»Catrin ist im Kerker, ich zahle die Miete. Mats ist noch in der Tollkammer. Er ist wie von Sinnen«, fasste sie kurz zusammen.
»Ich kümmere mich um ihn. Auch wenn Gislindis sich nicht helfen lassen will.«
»Wird sie schon
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