Mit falschem Stolz
Clara.«
Wenn jemand wusste, was sich in der Dämmerung in den Straßen der Stadt abspielte, dann die Gassenjungen und -mädchen, die ihr Geld mit Lastentragen und dem Überbringen von Botschaften verdienten. Die Päckelchesträger aber standen unter Pitters Schutz.
»Ich werde mich ebenfalls umhören, Frau Clara«, erklärte sich Fredegar bereit.
»Ihr habt sicher wichtigere Dinge zu erledigen.«
»Abt Lodewig wird etwas warten können, und mit dem Kämmerer des Erzbischofs habe ich mich erst für morgen verabredet.«
Marian nickte ihm kurz zu und verabschiedete sich von seiner Mutter und der Meisterin, um denselben Weg zu gehen, den er eben gekommen war – zurück zum Badehaus an der Marspforte. Pitter versprach ihm, die Päckelchesträger nach der vermissten Begine zu fragen und ihm Botschaft zu schicken.
»Wenn ihr etwas zugestoßen ist, Marian … Frag auch im Turm nach«, sagte er mit ernster Miene. Die Vorstellung behagte Marian nicht besonders – es würde bedeuten, dass man eine unbekannte Tote gefunden hätte. Aber der Bader hatte recht, auch das musste man in Erwägung ziehen.
4. Kapitel
D er Falke kreiste oben im weißbetupften Blau, als Alyss, den schnüffelnden Spitz an ihrer Seite, durch die abgeernteten Weinreben wanderte. Die Ernte in diesem Jahr war gut gewesen, etliche Fässer Wein würde sie aus den Trauben erhalten. Nicht die beste Qualität und wahrlich nicht zu vergleichen mit den süffigen Gewächsen aus dem südlicheren Rheinland. Aber als Würzwein, mit Nelken, Paradieskörnern, Honig und noch einigen anderen Zutaten, sollte er ihnen im Winter schmecken. Und wehe demjenigen, der sich beschwerte.
Alyss war stolz auf ihren Weingarten.
Hinten an der Umfassungsmauer blühten an ihrem Sanktuarium noch immer die Rosen. Mit einer kleinen Schere schnitt sie einige verwelkte Blüten heraus und setzte sich dann auf die Bank, um für einen Moment zu verschnaufen.
War sie selbst auch im Augenblick beinahe ohne Sorgen, so machte sie sich doch Gedanken um Catrin. Vorhin war Frau Clara bei ihr gewesen in der Hoffnung, dass ihre Ziehschwester sich bei ihr eingefunden haben könnte. Es sah Catrin so gar nicht ähnlich, einfach zu verschwinden, ohne jemandem eine Nachricht zu hinterlassen. Aber möglicherweise war die Beginenmeisterin auch wieder einmal überängstlich. Catrin mochte auf einen Fremden schüchtern und sogar ein wenig schusselig wirken, doch war sie eine pflichtbewusste und zuverlässige Person von großer Hilfsbereitschaft und Fürsorge. Genau wie Marian vermutete Alyss, dass sie möglicherweise einen Menschen in Not getroffen, ihm geholfen und darüber die Zeit vergessen hatte.
Allerdings war es nun schon Nachmittag und kurz vor der None, und noch immer hatte sie keine Nachricht aus dem Konvent erhalten, dass Catrin wohlbehalten eingetroffen war.
Alyss kraulte Benefiz, und als der Hund plötzlich die Ohren aufrichtete und leise jiepte, sah sie auf.
»Bruderlieb, hast du deine blutigen Taten für heute vollbracht?«
»Noch nicht ganz. Es gilt noch einen Turmvogt vom Leben zum Tode zu befördern.«
»Heilige Mutter Maria, was ist geschehen?«
Marian setzte sich neben sie und legte ihr den Arm um die Schulter.
»Schlimmes, Alyss.«
»Sprich.«
»Man hat Catrin und Mats Schlyffers in der Tollkammer angekettet. Der Trottel von Turmvogt behauptet, sie seien die zwei Schwachsinnigen, die einen Mann umgebracht hätten.«
»Wir müssen sie dort rausholen.«
»Zweifellos. Nur – Alyss – es kommt noch schlimmer.«
»Was?«
»Der Mann, den sie angeblich umgebracht haben sollen, ist …«
Als ihr Bruder zögerte, keuchte Alyss entsetzt: »John?«
»Nein, so schlimm ist es nun doch wieder nicht. Der Tote ist Arndt van Doorne. Dein Gatte.«
Alyss machte den Mund auf und schloss ihn wieder.
»Sicher?«, fragte sie dann heiser.
»Ich habe den Leichnam in Augenschein genommen. Er ist es.«
»Er sollte nicht hier sein.«
»Nein, aber ich glaube nicht, dass man ihn von weit her gebracht hatte. Die Leichenstarre hatte noch nicht eingesetzt. Er muss in den frühen Morgenstunden gestorben sein. Man fand ihn an dem Winzerhäuschen nahe der Stelle, wo auch einst sein Bruder Robert erschlagen wurde. Bei ihm lag Mats, das blutige Messer noch in der Hand, besinnungslos. Catrin hat die beiden wohl gefunden, als sie von Meister Albrecht kam. Jemand hat die Wachen gerufen, und man hat sie in den Turm gebracht. Und da Mats nicht sprechen kann und Catrin nur stammeln konnte, hat man sie
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