Mit falschem Stolz
Alyss.«
»Das hatte ich befürchtet. Also, nicht sterben, Magister, und dulden, dass die Mädchen Euch besuchen und Euch ihre Fürsorge angedeihen lassen. Und nun trinkt noch einen Schluck.«
Als der Notarius sorglich zugedeckt in den Kissen lag, lockte Alyss das Kätzchen unter dem Sessel hervor und setzte es ihm wieder auf das Kopfpolster. Es tretelte ein paarmal und rollte sich dann schnurrend zusammen.
Über die Besuche war der Vormittag verstrichen, und Alyss beschloss, zunächst einmal zu prüfen, ob das Hauswesen Zähmung durch ihre Hand bedurfte. Wie es schien, verhielt es sich aber friedlich, und gerade als sie sich dem Kelterhaus zuwenden wollte, trat Pater Henricus durch die Toreinfahrt.
Erfreut wechselte sie die Richtung. Sein Besuch ersparte ihr einen weiteren Weg. Doch die Freude verwandelte sich im Nu in einen leichten Ärger.
»Mein liebes Kind, warum hast du es mir gestern nicht schon gesagt!«, rief er und stürzte auf sie zu. »Alyss, meine Tochter, wie musst du trauern! Komm, meine Liebe, ich will dich in dein Sanktuarium begleiten und mit dir beten.«
Das Hauswesen versammelte sich auf leisen Pfoten im Hof, hielt gebührend Abstand, aber alle Ohren waren gespitzt und warteten darauf, was geschehen würde.
»Pater Henricus, bitte. Ich habe meine Gebete gesprochen, das Leben geht weiter.«
»Aber nein, Kind, du darfst zurücktreten und dich deinem Kummer hingeben. Du hast deinen Gatten verloren, es muss dir das Herz zerreißen.«
»Ich ertrage es, Pater Henricus. Und ich wollte Euch nach der Sext schon aufsuchen, um Euch zu bitten, ihn christlich zu begraben.«
»Alyss, Alyss, du musst nicht so tapfer sein. Der Tod eines geliebten Gatten bedeutet doch auch, dass ein Teil des anderen verwundet ist. Und Wunden brauchen Zeit, um zu heilen. Ich will dir Trost spenden in dieser dunklen Stunde.«
Alyss biss die Zähne zusammen und mäßigte ihren Ton. Dennoch sah sie keine andere Möglichkeit, als den gütigen Pater zu bestürzen.
»Mag sein, Pater, dass bei Eheleuten, die in Liebe und Vertrauen verbunden sind, die Seele des verbleibenden Gatten blutet. Doch Arndt und ich hegten keine Zuneigung zueinander. Ich benötige keinen Trost.«
Entgeistert sah der Franziskaner sie an.
In ihrem Augenwinkel nahm Alyss eine Bewegung wahr und erkannte ihren Bruder, der an der Toreinfahrt stand. Das Hauswesen schlich sich näher.
»Ihr wart natürlich in Liebe verbunden, Kind. Ich selbst habe euch getraut und gesehen, wie tief eure Zuneigung gründete.«
»Von kurzer Dauer war der Traum, Pater. Er hielt, solange ich blind war für die Fehler des Arndt van Doorne.«
»Fehler verzeiht man in der heiligen Ehegemeinschaft. Ich habe es dir oft gesagt: Du bist zu ungeduldig mit den Menschen, und du magst mit unbedachten Bemerkungen den Ärger deines Gatten erregt haben.«
Ja, sie hatte die scharfe Zunge ihrer Mutter Almut geerbt, und keine gnädige Jungfrau Maria stand ihr zur Seite, um sie zu zügeln. Also entfuhr es ihr: »Bedacht waren meine Worte noch, Pater Henricus, als ich erfuhr, dass er nach dem Tod von Terricus lieber die Huren aufsuchte, als in mein Bett zu kommen. Bedacht waren sie auch noch, als ich merkte, dass er sein Geld verschwendete. Unbedacht wurden sie erst, Pater Henricus, als ich herausfand, dass ich seine Schulden zahlen sollte. Unbedacht wurden sie auch, als ich seine unlauteren Geschäfte mit Schmuggelware bemerkte. Unbedacht wurden sie vor allem, als ich entdeckte, dass er meine Brautkrone gestohlen hatte. Da ergriff ich schließlich Maßnahmen und ließ mir Brautschatzfreiung zusichern. Ein wenig harscher wurden meine Worte, als er mich darob blutig schlug, Pater Henricus.«
Dem empfindsamen Franziskaner stand der blanke Schrecken im Gesicht.
»Kind, das musst du dir eingebildet haben. Frauen verstehen nichts von Geschäften«, stammelte er.
»Pater Henricus, so leid es mir tut, Euch berichtigen zu müssen«, sagte Marian und stellte sich an die Seite seiner Schwester. »Alyss hat mehr Geschäftsverstand, als Arndt je besessen hat. Sie hat sich nichts, aber auch gar nichts davon eingebildet. Ihr könnt unsere Eltern dazu befragen.«
»Aber … aber …«
Es ging weit über das Verständnis des guten Priesters hinaus, dass eine solche Schlechtigkeit in seinen von ihm behüteten Schäfchen schwären konnte, fürchtete Alyss, und sie empfand Mitleid mit seiner Fassungslosigkeit. Doch Marian war noch weit härter zu ihm.
»Neben all dem Tort, Pater Henricus, den der Arndt van
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