Mit falschem Stolz
Doorne meiner Schwester angetan hat, hat er sich zudem des Brudermords schuldig gemacht. Im vorigen Frühjahr heuerte er den kindischen Riesen Yskalt an, Robert mit dem Hammer zu erschlagen.«
Ein Keuchen ging durch das Hauswesen.
Alyss hatte diesen Umstand von John erfahren, aber mit niemandem außer Marian darüber gesprochen. Nun war es offenbar.
Pater Henricus betete leise.
»Nein, Pater Henricus, nicht Vergebung soll ihm zuteilwerden. ›Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen‹«, zitierte Alyss leise. Und Marian ergänzte: »Wie Moses sagt.«
»Deshalb sollte er auch nicht neben Robert begraben werden. Verscharrt ihn in ungeweihter Erde draußen vor der Stadtmauer«, fauchte Alyss.
»Kind!«
Pater Henricus schluchzte und nahm ihre Hände. Sie schüttelte sie ab. Wut, kalte Wut füllte ihre Kehle mit Bitternis. Ehrlichkeit ist besser als Heuchelei, hatte Gislindis gesagt. Ja, und weitaus wohltuender. Sie war selbst erstaunt über die Wucht ihres Zornes, der sich nun seinen Weg brach.
»Die Leute werden reden«, sagte Hilda leise. »Auch wenn Ihr recht habt – tut Euch das nicht an, Herrin.«
»Sie hat recht, Schwesterlieb. Er soll ein ordentliches Grab bekommen. Es weiß kaum einer von seinen Schandtaten. Man wird es nicht glauben und dir nachsagen, dass du üble Nachrede führst.«
Alyss holte tief Luft.
»Also doch Heuchelei. Aber bitte, begrabt ihn nicht neben Robert. Das hielte ich nicht aus. Und Catrin auch nicht.«
»Nein, gewiss nicht. Ich will Merten fragen, wo seine Eltern liegen. Mag man ihn an ihrer Seite begraben.«
»Die Ärmsten werden sich im Grab herumdrehen«, flüsterte Alyss so leise, dass nur Marian es hörte. Der aber beruhigte sie: »Was hat unser Vater zum Leben nach dem Tode gesagt? Man solle ihn in ein gemütliches Grab packen, wo man seine Gebeine in Ruhe verrotten lässt.«
Dieser deutliche Wunsch des Herrn Ivo vom Spiegel verfehlte seine Wirkung nicht. Alyss schnaufte kurz und fing sich dann wieder.
»Wohl denn, Pater Henricus. Seid so gut und kümmert Euch um Arndts sterbliche Überreste. In diesem Haus wird er jedoch nicht aufgebahrt. Und legt die Bestattung so bald wie möglich fest. Ich übernehme die Kosten für das Grab.«
»Mein Gott, Kind, was ist nur mit euch geschehen? Ich werde für dich beten.«
»Betet lieber für all die unseligen Frauen, die an ähnliche Ehemänner gefesselt sind und ihr Leid tragen müssen. Und nun entschuldigt mich, das Hauswesen verlangt meine Aufmerksamkeit.«
Alyss strebte zur Küche und ließ den Pater im Hof stehen. Marian folgte ihr, und auch die anderen Mitbewohner versammelten sich um den Küchentisch.
»Er hat wirklich seinen Bruder Robert ermorden lassen?«, fragte Tilo, sichtlich erschüttert.
»Ja. Yskalt hat es John auf dem Sterbebett berichtet. Und nun wollen wir die Vergangenheit ruhen lassen. Marian, Gislindis hat mir gesagt, dass Johns Diener Bob in der Stadt ist.«
»Was nur heißt, dass er ebenfalls bald eintreffen wird. Und unseren Frieder mitbringt.«
Hilda säbelte Scheiben von einem großen Schinken, Hedwigis sägte an einem Brotlaib herum, und Lauryn schenkte Most aus dem Krug in Becher. Die Aussicht auf die Rückkehr der Reisenden hob augenblicklich die Stimmung.
»Trine hat auch etwas herausgefunden«, sagte Marian und schnitt den Schinken auf seinem Brettchen in kleine Stücke. Eines landete unter dem Tisch in Malefiz’ schwarzer Schnauze. »Bilsenkraut hat Mats’ Sinne vernebelt. Und zwar mehr, als man gewöhnlich in die Biergrut tut. Jemand hat ihm mit Absicht eine betäubende Tinktur verabreicht.«
»Er geht hin und wieder zum Adler. Ich werde Frau Franziska einen Besuch abstatten. Hat Trine eine Idee, woher man Bilsenkrauttinktur bekommt?«
»Aus der Apotheke«, grinste Marian.
»Klar, aber nicht aus ihrer.«
»Nein, und je nachdem, welche üblen Absichten man mit den Tropfen hegt, wird man wohl auch heimlichere Quellen aufsuchen. Sie nannte einige Zaubersche, die möglicherweise damit handeln.«
»Was aber nur wieder den Verdacht auf Mats lenkt. – Könnte er im Rausch gemordet haben?«
»Wir müssen warten, bis er wieder bei Vernunft ist.«
7. Kapitel
L ore schuppte Fische. Sie tat es nicht ungern, denn die Fische waren frisch und rochen eigentlich nach gar nichts. Ganz anders als die, die sie von zu Hause kannte. Die stanken. Obwohl sie direkt am Fischmarkt wohnten.
Überhaupt – zu Hause, was war das schon?
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