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Mit falschem Stolz

Mit falschem Stolz

Titel: Mit falschem Stolz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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verschwunden war, hatte John ihr den weißen Gerfalken geschenkt. Eine ungeliebte Gabe zunächst, die sie so schnell wie möglich loszuwerden gedachte. Und nun – so vieles hatte sich seit dieser Zeit geändert. Der Vogel hüpfte auf ihre behandschuhte Hand und ließ sich über das Gefieder streichen. Das Häubchen brauchte sie schon lange nicht mehr, vermutlich auch die Riemen an den Füßen nicht. Er vertraute ihr, kam auf den leisesten Ruf seines Namens zurück, immer gewiss, dass ein Happen auf ihn wartete. Nächsten Monat, so nahm sie sich vor, würde sie es wahr machen: Sie würde Jerkin mit nach Villip nehmen und mit ihm zur Jagd reiten.
    Der Ruhetag hatte ihr gutgetan. Aber schon am Montag setzte sich das Rad des Schicksals wieder mit Schwung in Bewegung. Sie sortierte eben die Pelze, die Brouwers für Leocadie geliefert hatte – das Mädchen selbst hatte sich nicht überwinden können, die Felle, die noch so sehr an die Tiere erinnerten, die sie einst gewesen waren, anzufassen –, als Hilda ihr meldete, dass Gislindis sie zu sprechen wünschte.
    »Führe sie in den Saal, Hilda, und bring uns ein paar von deinen süßen Wecken.«
    »Ihr macht ein Aufhebens um sie, als sei sie eine Patriziertochter«, murrte die Haushälterin.
    »Um Patriziertöchter mache ich weniger Aufhebens. Und du auch. Oder wirst du Hedwigis zukünftig nicht mehr anschnauzen, wenn sie die Eier fallen lässt oder die Milch verschüttet?«
    Hilda murmelte zwar noch unwillig etwas vor sich hin, brachte aber die Schlyfferstochter in den Saal, der die ganze Tiefe des Hauses ausmachte. Alyss schlug den Deckel der Aussteuertruhe zu und stieg die Treppe vom Dachboden, wo die Jungfern ihre Schlaf- und Arbeitskammer hatten, in den ersten Stock hinunter. Gislindis stand vor dem Kamin und sah sich in dem Raum um. Durch die bleiverglasten Fenster fiel das Tageslicht und ließ Kupfer- und Zinngeschirr auf den Borden schimmern. Die leuch tenden Farben des Teppichs, der den langen Tisch be deckte, hoben sich gegen das dunkle Holz der reich geschnitzten Schränke und der glänzend gewachsten Bodendielen ab.
    »Ein schöner Raum, der von Wohlhabenheit zeugt. Habt Ihr wohl, Frau Alyss?«
    »Bislang zumindest fühle ich mich wohl, Gislindis. Was bringt Euch zu mir? Etwas, das dieses Gefühl verscheuchen wird?«
    »Mag sein, dass es Euch verdrießen wird, aber wissen solltet Ihr es.«
    Alyss setzte sich in den Scherensessel am Kamin und wies auf den anderen ihr gegenüber. Hilda betrat mit einem Korb Wecken und einem Krug Traubensaft den Raum, stellte beides auf den Tisch und holte, mit einem grimmigen Blick auf ihre Herrin, zwei der gläsernen Pokale aus dem Schrank.
    »Danke, Hilda«, sagte Alyss und nickte ihr zu. Noch immer grummelnd schlurfte die Haushälterin heraus.
    »Ich bin es nicht wert, von ihr bedient zu werden.«
    »Was ist der Mensch wert, Gislindis?«
    Alyss sah die junge Frau aufmerksam an. Ihr Gesicht wirkte müde, sie schien ihr magerer geworden zu sein. Die Sorge um ihren Vater mochte auf ihr lasten. Und mehr – ohne ihren Vater war auch ihre Zukunft unsicher. Sie konnten nur gemeinsam das Schleifergeschäft betreiben.
    »Mein Vater ist nichts wert, denn er kann nicht sprechen. Ich bin nur wert, einem Mann Küsse oder die Gunst meines Leibes zu schenken. Ihr seid Geld wert, denn Ihr handelt mit Ware. Euer Bruder ist wert, denn er heilt …«
    »So düster, Gislindis? Aber ich verstehe. Es mag scheinen, als ob man Euren Vater wie einen Schwachsinnigen behandelt, aber der Hohlkopf, glaubt mir, sitzt auf der anderen Seite im Schöffengericht. Nehmt einen Wecken, Gislindis.«
    Sie tat es, brach ein Bröckchen ab und knabberte daran.
    »Ich habe mit Mats gesprochen«, sagte sie unversehens.
    »Das ist doch gut, oder?«
    »Euer Bruder sorgt für ihn. So wie er auch die Kerkermiete begleicht. Ich will das alles nicht, aber ich muss es annehmen.«
    Es hörte sich dermaßen bitter an, dass Alyss zusammenzuckte. Doch sie erwiderte nichts darauf, sondern fragte: »Was sagt Mats? Kann er sich erinnern, was in der Nacht geschehen ist?«
    »Er ist im Adler gewesen, wie oftmals an einem Sonntag. Er sitzt gerne unter Menschen, beobachtet sie und hört zu. Die Stammgäste dort wissen, dass er nicht gut reden kann, trotzdem unterhalten sie sich mit ihm. Er wollte aber nicht lange bleiben, nur auf einen Humpen Bier. Es war lebhaft an dem Abend.«
    »Ja, das sagte Frau Franziska auch. Die Messe naht, und die ersten Kaufleute und Handelsgehilfen treffen

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