Mit falschem Stolz
fürchtete sie die Kommentare der Männer – Kunden, Lieferanten, Nachbarn … Ja, sie brauchte Hilfe. Sie würde sie annehmen.
»John, Marian, helft mir.«
»Natürlich. Lass uns eine Nacht darüber schlafen.«
Alyss zog den feinen Schleier von ihren Haaren und faltete ihn sorgfältig zusammen. Catrin hatte ein wahres Kunstwerk geschaffen. Und während sie den zarten Stoff glattstrich, fiel ihr eine weitere Frage ein.
»Wem ist Arndt im Hurenhaus begegnet? Wer wusste von seiner Rückkehr?«
John und Marian sahen einander an.
»Verdammt kluges Weib, deine Schwester.«
»Wohl wahr. Du oder ich?«
»Gemeinsam. Keiner von uns beiden sollte der Eselin Wynfrida alleine gegenübertreten müssen.«
»Aber einer von euch sollte auch diese Buhle in Riehl aufsuchen und ihr ein paar Fragen stellen.«
»Auch das wird geschehen, Alyss. Und nun geht schlafen, und sorgt Euch nicht. Wir werden Euch von der klebrigen Last Eures Erbes befreien.«
»›Es gibt die Welt uns allen
Auf Honig bittre Gallen‹,
wie der bescheidene Dichter Freigedank sagt. Danke.«
17. Kapitel
G islindis hatte das Häuschen geputzt, Brot gebacken, Laken ausgebessert und ein paar Schriftübungen gemacht. Ihre Finger hatten sich daran gewöhnt, die Feder zu halten, und die Tintenkleckse wurden immer weniger. Auch hatten die Worte begonnen, zu Bildern zu werden, und wenn sie Rose schrieb, dann sah sie auch eine Rose.
Doch der Erfolg machte sie nicht glücklich.
Mats wurde noch immer im Kerker gehalten, und ihr fehlte seine geschäftige Art. Ihr fehlte es auch, mit ihm auf den Markt zu gehen oder die Häuser zu besuchen und ihre Dienste anzupreisen. Zumindest misshandelten sie ihn im Turm nicht, dessen hatte sie sich vergewissert. Er wurde zwar wie ein dummes Tier behandelt, aber er litt keine Not.
Gislindis war klug, scharfsichtig und weitblickend. Sie kannte die Menschen, ihre Laster und ihre Tugenden, besser vielleicht als jeder Beichtiger.
Natürlich hatte sie sich Gedanken gemacht, warum gerade ihr Vater ausgenutzt wurde, um bei dem Mord an Arndt van Doorne eine falsche Spur zu legen. Sie hätte gerne ihre Gedanken dazu mit jemandem ausgetauscht, aber all ihre Freundinnen und Bekannten würden nur ungläubig oder fasziniert zuhören und anschließend die wüstesten Gerüchte verbreiten.
Es gab nur zwei Menschen, denen sie sich anvertrauen konnte, Frau Alyss und Herrn Marian. Mit Frau Alyss hatte sie schon gesprochen, die dachte wie sie selbst auch. Aber sie musste ebenfalls vorsichtig sein. Immerhin war es ihr Gatte gewesen, der den Tod gefunden hatte, und es war nicht verborgen geblieben, dass es zwischen den Eheleuten zu manch herbem Streit gekommen war. Gemunkel gab es genug, und böswillige Zungen schärften sich an den Vorstellungen, wie es der Weinhändlerin wohl gelungen war, so gründlich und schnell zur Witwe zu werden. Zumal ein ansehnlicher Nordmann oft bei ihr zu Gast war.
Sie hatte eine Warnung ausgesprochen, mehr aus ihrer Eingebung heraus, aber da war noch mehr als ein schwarzgeflügeltes Böses, das im Hinterhalt lauerte. Da war der Glaube des Volkes. Und der würde, sich lustvoll an dem Übel ergötzend, zu einer Flut anwachsen, der kein Einhalt geboten werden konnte. Sie selbst hatte es schon zu spüren bekommen – die Tochter des Mannes, der des Mordes beschuldigt wurde. Sie wagte sich kaum noch vor die Tür.
Gedankenverloren spielte sie mit der Feder.
Sie konnte Herrn Marian eine Botschaft schicken.
Aber sie zögerte. Seit sie den Herrn des Hauses vom Spiegel kennengelernt hatte, war ihr klar geworden, dass die leichtherzige Tändelei mit seinem Sohn ein Ende haben musste. Denn unseligerweise hatte sie sich in den jungen Patrizier verliebt, doch für sie beide konnte es keine Zukunft geben. Es trennten sie Stand und Ansehen, und über die Kluft zwischen ihnen gab es keine Brücke. Um sich weiteres Herzeleid zu ersparen, hatte Gislindis beschlossen, Marian vom Spiegel so gründlich wie mög lich aus dem Weg zu gehen.
Als es an der Tür klopfte, fuhr sie aus ihren Gedanken auf. Vorsichtig öffnete sie einen Spaltbreit und erkannte ausgerechnet die Frau, an die sie noch eben gedacht hatte.
»Tretet ein, Frau Alyss.«
»Danke, Gislindis. Geht es Euch gut?«
»Es langweilt mich, so untätig im Haus zu sitzen. Bringt Ihr Neuigkeiten?«
»Die und Fragen.«
»Behaltet also Eure Silberlinge, im Tausch für die Neuigkeiten bekommt Ihr die Antworten.«
»Ein redliches Angebot.«
Gislindis räumte ihre
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