Mit falschem Stolz
die Fäden immer.«
Er schnaubte.
»Dann scheinst du äußerst geschickt darin, Schicksalsfäden zu spinnen. Der junge Brouwer lässt meine Hedwigis nicht aus den Augen. Und sie himmelt ihn mit einem Schafsgesicht an …«
»Ein wohlhabender, gut beleumundeter Pelzhändler, soweit ich ihn kennengelernt habe. Wir machen gute Geschäfte miteinander.«
»So so.«
»Zu fein für einen Baumeister?«
»Für den nicht, aber mein Weib …«
»Will am liebsten einen Ritter für ihre Tochter. Doch Arbo ist Leocadie versprochen, und Fredegar hat Weib und Kinder. Ich halte große Stücke auf Wynand Brouwer.«
Die Mägde kamen mit Platten voll dampfenden Suppen, duftenden Braten und Brotkörben in den Saal, und man wandte sich dem Tisch zu. Fredegar geleitete Frau Almut zu ihrem Platz in der Mitte des langen Tisches, und mit einer gebieterischen Geste winkte sie John an ihre andere Seite. Alyss wollte sich zu ihm durchschlängeln, aber ihr Bruder kam ihr zuvor und drückte Catrin auf den Platz neben John. Er hingegen führte Frau Clara an den Tisch, sodass Alyss nichts anderes übrig blieb, als sich ihrer Mutter gegenüber niederzulassen. Merten setzte sich neben sie, der schöne Ritter Arbo verneigte sich und bat, mit Leocadie an ihrer anderen Seite Platz nehmen zu dürfen.
Es wurde aufgetragen, und über die Tafel breitete sich ritterlicher Glorienschein aus. Angeführt von Ritter Fredegar, der hübsch anstellig Frau Almut bediente, griff auch John zu und legte Catrin die besten Stücke vor. Verdutzt nahm Alyss wahr, dass Merten für sie die feinsten Fleischstücke von der Platte fischte, genau wie Ritter Arbo es für Leocadie tat.
»Übst du dich in höfischer Tischzucht, Merten?«
»Euch gebührt das Beste von der Tafel, Frau Alyss. Und ich habe oft genug an den Tischen der Adligen gespeist. Ich weiß, wie man den Hohen Frauen dient.«
Warum hört sich das nur irgendwie schmierig an?, fragte Alyss sich, nahm aber zierlich das knusprige Hühnerbeinchen entgegen, das er ihr reichte. Man aß und trank mit Behagen, aber so recht wollte ihr der Appetit nicht kommen. Sie sah zu Marian hin, dessen freundliche Miene der Beginenmeisterin galt, die wie üblich ihre Leiden aufzählte. Doch Alyss kannte ihn gut genug, um zu merken, dass etwas in ihm gärte. Auch John, eifrig um ihre Mutter und Catrin bemüht, strahlte eine gewisse Unruhe aus. Sie hatte beide Männer seit Montag nicht mehr gesprochen, und vermutlich hatten sie etwas herausgefunden, das von einiger Tragweite war. Catrin hingegen wirkte lebendiger als je zuvor, und einmal hörte Alyss, wie sie John nach seinem Diener Bob fragte. Auch da war etwas passiert.
Doch das hier war weder die rechte Zeit noch der rechte Ort, John und Marian nach dem zu fragen, was ihr spürbares Missbehagen verursachte. Geduld war nicht unbe dingt Alyss’ größte Stärke, und Mertens aufdringliche Schmeichelei wie auch Wiltruds beständige kleine Giftspritzer stellten ihr sittsames Benehmen auf eine harte Probe. Einzig die etwas unbeholfenen, aber gutwilligen Bemühungen Tilos, Lauryn ein ritterlicher Tischherr zu sein, hoben ihre Stimmung. Mochte sein, dass ein kleines Samenkorn zu keimen begonnen hatte. Denn seit einiger Zeit bekam Tilo keinen Kalbsblick mehr, wenn er der schönen Leocadie ansichtig wurde.
Trotz allem, das Fest verlief in Harmonie, Catrin erblühte in der sie umgebenden Freundlichkeit und zeigte keine Nachwirkungen der Kerkerzeit mehr. Als die Dunkelheit sich über die Häuser senkte, brach man auf, und mit Genugtuung bemerkte Alyss, dass Marian und John sich ihrem Trüppchen anschlossen. Eifrig schnatternd und schwatzend gingen sie im Schein der Fackeln, die Tilo und Frieder hielten, durch die Gassen, doch als sie das Haus erreicht hatten, scheuchte Alyss ihre Schutzbefohlenen in die Federn. Merten, der Anstalten machte, noch auf einen Schoppen zu bleiben, verabschiedete sie kühl, und Marian geleitete ihn resolut zum Tor.
»Er macht sich lieb Kind bei dir, meine schöne Schwester. Was verspricht er sich davon?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es seine Art, mir Trost spenden zu wollen.«
»Oder hat ihn der Minne Pfeil getroffen?«
Alyss hüstelte.
»Gott, nein. Merten doch nicht. Eher will er mir einen höheren Anteil an den Gewinnen aus seinen Aufträgen abschmeicheln. Lass nur, Bruder mein, das wird schnell vorbeigehen. Wichtiger ist mir zu erfahren, was dich und John umtreibt. Gibt es unangenehme Nachrichten?«
John, der sich im Haushalt inzwischen
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