Mit falschem Stolz
Minne geblättert.
»Rodwyn scheint ein kluges Mädchen zu sein. Gefiel ihr denn ein junger Mann?«
»Mhm …«
Mit Schwung rupfte Frieder einen weiteren Pfahl aus der feuchten, lehmigen Erde und begann die bisher entfernten Hölzer zu einem ordentlichen Spitzhaufen aufzustellen.
»Und so vertraute sie sich dir an?«
»Mhmmm.« Frieder hatte rote Ohren bekommen, hielt sich aber tapfer. »Ich mochte sie ziemlich gerne, Frau Alyss.«
»Und nun vermisst du sie?«
»Ja, ich glaub schon. Vor allem nachts, Frau Alyss.« Und dann kam ein bodentiefer Seufzer. »Es war so schön traulich im Heu.«
»Sie lebte bei dem Falkner, der dein Lehrherr war?«
»Nein, Frau Alyss. Sie war Hausmaid in dem großen, kalten Haus von Master John. Sie und ihr Bruder, der kümmert sich um die Kamine und den Garten. Auch ein netter Kerl, der Willis.«
Und als Alyss diesmal zu Frieder hinschaute, lag ein höchst verdächtiges Leuchten über seinem Gesicht. Offensichtlich hatte er einen Kumpan nach seinem Geschmack gefunden.
»Armer Master John«, entfuhr es ihr.
»Och nöö. Der ist jetzt weniger arm dran.«
Der nächste Fetzen trüben Schleiers zerflatterte, und Alyss’ Neugier war geweckt.
»Was, Frieder, habt ihr angerichtet?«
»Nur ein bisschen gespukt, Frau Alyss. Ganz harmlos.«
Das mochte seine Einschätzung sein, vermutlich teilten andere sie nicht.
»Gespukt?«, hakte sie nach.
»Na ja, der Nachbar dort, der war ein Jäger. Und der Willis, der kannte den Gehilfen des Gärtners. Und der hat uns die beiden Wolfsfelle gebracht. Weil ich denen doch von dem Wolfsmann erzählt habe, der im Frühjahr hier in Köln herumgegeistert ist und die Leute erschreckt hat.«
Natürlich, das mochte zweifellos abenteuerlustige junge Männer auf dumme Gedanken bringen.
»Der Vollmond also verwandelte euch?«
»In grausige Dämonen, Frau Alyss. Und Rodwyn hat uns einen Trichter gegeben, durch den man herrlich heulen und jaulen konnte.«
»Und in nächtlich leeren Hallen klang es gar grausig, nicht wahr?«
Jetzt konnte Alyss ihre Erheiterung kaum mehr verbergen. Zu sehr erinnerte sie sich an ähnliche Streiche, die Marian und sie und andere Gleichaltrige vor Jahren gespielt hatten.
»Vor allem in diesem kargen, kalten Haus ohne Schatten, Frau Alyss. Da trieb der Werwolf gerne sein Unwesen.« Und dann kicherte Frieder plötzlich. »Mistress Margaret war nicht amused.«
Es war eine unheilige Schadenfreude, die in Alyss aufwallte. So hatten diese dreisten Kinder der kalten Hexe einen ordentlichen Schrecken eingejagt. Geschah ihr recht, dieser scheinheiligen Ziege. Andererseits … Sie setzte ein strenges Gesicht auf.
»Das war nicht recht deiner Gastgeberin und der Herrin des Hauses gegenüber.«
»Es hat aber ihre Entscheidung beschleunigt, Frau Alyss.«
»Rodwyn und Willis aus dem Haus zu werfen?«
»Oh nein. Ihr müsst wissen, dass Master John einen sehr eifrigen Priester gebeten hat, seinem Weib gut zuzureden, in ein Kloster zu gehen. Sie lebt ja ohnehin schon wie eine Nonne. Aber sie fühlte sich immer noch an ihren ehelichen Treueschwur gebunden und wollte Master John weiter an sich gefesselt halten. Aber der Priester hatte sie schon fast so weit, und als sie dann nächtens in dem verfluchten Haus von den Dämonen gehetzt wurde, fiel es ihr plötzlich leicht, das Angebot anzunehmen, sich den Karmeliterinnen anzuschließen.«
Der letzte Rest des Trübsinns verwehte wie ein Wölkchen Rauch, in das ein kräftiger Windstoß gefahren war.
»Sie hat den Schleier genommen?«
»Zusammen mit ihrer gesamten Mitgift, die Master John ihr übergeben hat.«
Alyss ließ die Hände sinken und sah zum bedeckten Himmel auf.
Oben kreiste der Falke.
Frei.
Dann sah sie Frieder an und sagte: »Danke.«
»Och – da nicht für.«
Mit weit mehr Energie zog Alyss noch zwei weitere Pfähle aus dem Boden, dann wurde sie vom Hof aus gerufen.
Marian kam ihr entgegen und deutete auf die Tordurchfahrt.
»Schwesterlieb, ich habe einen überraschenden Gast mitgebracht. Führe ihn in deinen Saal, und lass ihm deinen besten Wein kredenzen.«
Etwas verwirrt sah Alyss den Mann an, der sich jetzt aus dem Schatten der Mauern löste. Er war recht groß, und eine weit schwingende Heuke, rehbraun, gefüttert mit blauer Seide, betonte seine breiten Schultern. Seine Beine steckten in weichen braunen Stiefeln, und unter dem Barett lockten sich glänzend braune Haare. Sein Gesicht war von einem sorgfältig gestutzten und gekräuselten Bart umrahmt.
Sie
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