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Mit falschem Stolz

Mit falschem Stolz

Titel: Mit falschem Stolz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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ihres Sanktuariums, und Alyss stand mit der Schere in der Hand davor, unschlüssig, ob sie sie abschneiden oder sie den eisigen Zähnen des Nachtfrosts überlassen sollte. Unschlüssigkeit war überhaupt das überwiegende Gefühl, das sie beherrschte, seit sie dem Turm entronnen war. Sie mahnte sich selbst zur Zucht, steckte die Schere in die Schürzentasche und wanderte zum Haus zurück. Im Hof wurden Fässer gerollt. Eine Lieferung aus Speyer war eingetroffen, und Tilo kümmerte sich mit Peer darum, sie in den Keller zu schaffen. Frieder säuberte am Brunnen leere Fässer, Hedwigis und Leocadie kamen mit schweren Körben vom Markt zurück, Lauryn schleppte mit Hilda Kohlköpfe herbei, die sie von dem Bauern nebenan erstanden hatten. Sie würden Sauerkraut daraus machen. Daraus, dass die heidnischen Völker nicht zischend und zwickend dazwischenfuhren, schloss sie, dass Lore sie zum Teich geführt hatte.
    Keine einzige dieser Tätigkeiten hatte sie selbst beauftragt.
    Sie blieb an das Tor gelehnt stehen und fühlte sich überflüssig. Das Hauswesen hatte sein Eigenleben entwickelt in jenen Tagen, an denen sie es unbeaufsichtigt hatte lassen müssen. Man fragte sie nicht um Rat, man sah es ihr nach, dass sie in ihrem Rebgarten herumwerkelte.
    Dennoch war Alyss ehrlich genug, sich einzugestehen, dass auch sie wenig dazu tat, sich in das Tagesgeschäft einzumischen. Ihr Bruder und John hielten ebenfalls Abstand zu ihr.
    Frieder rollte ein sauberes Fass zur Stallwand und reckte sich, dann sah er zu ihr hin.
    Sollte sie ihn bitten, mit ihr die Rankstöcke aus dem Boden zu ziehen und die Wurzeln der Reben abzudecken?
    Vielleicht würde seine Art sie aufheitern.
    Unschlüssig erwiderte sie seinen Blick.
    Er kam zu ihr.
    »Frau Alyss, habt Ihr eine kleine Weile Zeit für mich? Ich würde Euch gerne etwas erzählen.«
    »Zeit scheine ich im Überfluss zu haben.«
    »Nein, habt Ihr nicht. Die Pfähle müssen aus dem Boden gezogen werden. Kommt, ich helfe Euch.«
    Froh, dass er ihr die Entscheidung abgenommen hatte, kehrte sie in den Weingarten zurück und band die ersten Reben los.
    »Wisst Ihr, ich habe in England eine Menge gelernt. Aber Wein bauen sie dort nicht so viel an. Darum haben die Weinhändler dort so ein hohes Ansehen. Denn trinken tun sie ihn gerne.«
    »So sagt man.«
    Alyss zerrte an dem Pfahl, Frieder packte mit an, und gemeinsam bekamen sie ihn mit einem Ruck aus der Erde.
    »Sie machen aber einen ganz ordentlichen Apfelwein dort, Frau Alyss. Der wird mit Gewürzen angesetzt und schmeckt ziemlich gut.«
    »Mhm.«
    Alyss ergriff die nächste Rebe.
    »Außerdem ist er ganz schön stark, der Cider.«
    »Mhm.«
    »Und dann haben sie Honigwein – den Met. Aber ehrlich, Frau Alyss, ein schöner Pfälzer Wein ist mir lieber.«
    Ein weiterer Pfahl kam aus der Erde.
    »Oder ein Bier, so eins, wie die Adlerwirtin braut.«
    Frau Franziska – ja, mit der würde sie noch ein Hühnchen rupfen müssen, schoss es Alyss durch den Kopf. Aber dann schüttelte sie den Gedanken ab. Was geschehen war, war geschehen. Sie schnitt einen langen Trieb ab und warf ihn zu Boden. Rotgoldenes Laub folgte.
    »Na ja, also guten Wein haben die Engländer nicht, aber schöne Schafe. Wirklich. Die gedeihen da gut und haben langes, seidiges Fell. Kein Wunder, das die Tuche so wertvoll sind, die sie daraus weben.«
    »Mhm.«
    »Und die Maiden, Frau Alyss, die haben auch schönes, seidiges Haar und Wangen, rot wie Äpfel. Und ihre Lippen schmecken süß wie Honig.«
    »Ach ja?«
    Alyss sah von Frieders grobknochigen, von allerlei Schrunden übersäten Händen auf. Eine leichte Belustigung flog sie an.
    »Du scheinst die Frauen sehr zu mögen, Frieder.«
    »Ooooch ja. Ja, sie sind so aufregend, wisst Ihr. Man weiß nie so genau, was sie denken. Und manchmal kichern sie, und man weiß ganz genau, dass sie sich über unsereins lustig machen. Der Tilo wird dann immer ganz schüchtern, aber mir macht das nichts, Frau Alyss. Wir Männer sind für sie bestimmt genauso interessant wie sie für uns, stimmt’s?«
    Die Erheiterung schickte ein Stückchen von dem trüben Schleier fort, der über ihrem Gemüt gelegen hatte.
    »Ja, Frieder, zwischen Männern und Frauen herrscht oft eine gewisse aufregende Spannung.«
    »Ja, und bei manchen Maiden, Frau Alyss, da wird’s mir dann auch ganz heiß. Und die Rodwyn … also die Rodwyn hat gesagt, das geht den Jungfern auch so. Wenn sie einen Mann sehen, der ihnen gefällt.«
    Aha, Frieder hatte im Lehrbuch der

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