Mit Familienanschluß
zu begreifen, was eine Familie wert ist …« Wolters sah Dorothea an. Sie blickte auf das zusammengelegte Strickzeug in ihrem Schoß und schwieg.
»Ingeborg und ich haben uns gedacht, daß wir …« Wie ein verlauster Hund kratzte sich Walter die permanent zu langen und ungepflegten Haare und schwieg einen Moment, um die richtigen Worte zu suchen. »Wir dachten an Ibiza. Da wird immer ein gewaltiges Faß aufgemacht.«
»Was wird da?« fragte Wolters zurückhaltend.
»Da tanzen nachts die Mädchen nackig in den Bars!« erklärte Gabi. »Übrigens, Phip hatte die Idee, daß wir nach Cres fahren könnten.«
»Cres, die Insel vor Istrien?« fragte Wolters. Ein Studienrat für Erdkunde hat die ganze Weltkarte im Kopf.
»Jugoslawien ist ein billiges Reiseland für uns Deutsche. Das billigste überhaupt. Und so klares, sauberes Wasser. Man kann tauchen …«
»Und auf Cres ist das Paradies der FKK-Anhänger«, sagte Walter gehässig, weil Gabi das mit den nackten Mädchen verraten hatte. »Hat dein Phip keine Angst, sich zu blamieren?«
»Du bist ein Saukerl!« knirschte Gabi und ballte die Fauste.
»Ist doch alles doof«, sagte Manfred gelangweilt. »Ich mach' den Western wieder an.«
»Ihr hört mir zu!« Wolters klopfte mit dem Pfeifenmundstück gegen die Rauchbierflasche. »Kein Ibiza, kein Cres!«
»Und keine doofe Nordsee mehr!« rief Manfred.
»Darauf komme ich noch zu sprechen.«
»Ich bin neunzehn Jahre alt«, sagte Walter laut. »Und immer habe ich mit euch Ferien gemacht. Ich möchte einmal allein …«
»Und ich bin achtzehn und möchte auch allein!« Gabi warf ihre langen blonden Haare mit einem Ruck zurück und sah in diesem Augenblick wirklich wie ein Gemälde aus.
»Und ich muß wieder an die Nordsee und mit Paps Federball spielen!« sagte Manfred weinerlich. »Gibt's auf der Welt nur Nordsee?«
»Mein Gott, wenn meine Familie sich doch angewöhnen könnte, mich aussprechen zu lassen!« Wolters klopfte wieder gegen den Flaschenhals. »Ruhe!«
»Ich habe keinen Ton von mir gegeben«, sagte Dorothea sanft. »Was hast du beschlossen, Muckel?«
»Ich muß da weiter ausgreifen …«
Walter sandte einen verzweifelten Blick zur Decke und streckte die Beine weit aus. Gabi zog einen Flunsch und knabberte weiter Plätzchen, und Hermann Wolters fuhr fort:
»Es braucht nicht erwähnt zu werden, wie hoch das Gehalt eines Studienrates ist – wir alle wissen es.«
»Ich würde nie Studienrat …«, warf Walter ein.
»Ich weiß … Du willst wie eine Made im Speck vom enteigneten Kapital leben! Ruhe!« Wolters beugte sich über den aufgeschlagenen Schnellhefter. Aha, dachte seine Familie ergeben, jetzt kommt eine seiner gefürchteten Statistiken. Aber auch das geht vorbei.
»Es ist in den heutigen schwierigen Zeiten, bei der allgemeinen Teuerungswelle, bei der schleichenden Inflation in der ganzen Welt fast unmöglich geworden, daß ein Studienrat mit seiner vierköpfigen Familie, also zu fünfen, einen anständigen Erholungsurlaub machen kann. Vierzehn Tage – ja, aber nach medizinischen Forschungen beginnt die Erholung erst in der dritten Woche, und die vierte Woche birgt die Grundlage zur Gesundung in sich.«#
»Wir waren immer vier Wochen lang weg«, sagte Walter. »In der vierten Woche hätte ich die Dünen umgraben können, um meine Aggressionen loszuwerden. Darum wäre jetzt Ibiza …«
»Ruhe, sage ich!«
Gabi nickte frech. »Jawohl, Herr Studienrat.«
»Ich habe mich der Mühe unterzogen, unsere letzten großen Ferien einmal durchzurechnen.« Wolters goß sein Bierglas wieder voll. Aber diesmal war Walter schneller, er griff sich das Glas, als Wolters die Flasche zurückstellte, trank es halb leer und gab es seinem Vater zurück.
»Bitte, Paps … danke.«
»Wir bezahlten für die Hotelzimmer mit Vollpension: Doppelzimmer für Mami und mich – DM 82,- Einzelzimmer für Gabi – DM 45,- Doppelzimmer für die Jungs – DM 75-.«
»Das Geld hätte man mir zahlen müssen, weil ich Manfred nicht an die Wand geknallt habe!« erklärte Walter laut.
»Du doofe Nuß!« schrie Manfred. »Wenn du nachts heimlich flitzen gingst, mußte ich ab und zu laut schnarchen, damit Mami und Paps glaubten, du wärst im Zimmer!«
»Die drei Zimmer machen zusammengerechnet die Summe von täglich DM 202,- aus«, fuhr Wolters mit erhobener Stimme fort. »Das mal dreißig Tage ergibt die stolze Summe von DM 6.060 ,-. Schon das klingt für einen Studienrat phantastisch. Aber das war's ja nicht allein! Hinzu
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