Mit Familienanschluß
zum Beispiel von Atomphysik mehr verstehen als du.« Sie wandte sich auf dem Fellhocker um und bot Wolters nun ihren Körper von vorn dar. Er kannte ihn seit 22 Jahren. Damals steckte sie gerade mitten im Abitur, als sie sich auf einer Mainwiese zum ersten Mal küßten und ihre Körper spürten. Er machte die Referendarprüfung und büffelte auf der Universität von Würzburg geschichtliche Zusammenhänge und Jahreszahlen. Eine Liebe war es, die nie gleichgültig geworden war … mit den Jahren natürlich stiller, aber tiefer, inniger, seelenverwandter. Man war eine Einheit geworden. Man hatte, wie es so pathetisch heißt, eine Insel der Geborgenheit geschaffen.
Nun war er, Studienrat Hermann Wolters, sechsundvierzig Jahre alt, rundum glücklich und zufrieden – bis auf die ewige Rechnerei mit dem Gehalt. Drei Beiträge zu einem Geschichtsbuch für die Mittelstufe Höherer Lehranstalten in Bayern hatten ein paar hundert Mark gebracht und in ihm den Gedanken wachsen lassen, in ein paar Jahren einmal ein ganzes Buch zu schreiben. Vielleicht über die Königin von Saba, die ihn wahnsinnig interessierte, vor allem ihr Verhältnis zu König Salomo. Wenn man das ein wenig erotisch würzte, konnte es auch die Leser fesseln. Und zusätzlich Geld bringen. Dann konnte man auch mit Dorothea auf die Seychellen oder nach Ceylon fliegen.
O Hasi, wie geduldig warst du doch in diesen 22 Jahren! Du hättest auch einen reichen Fabrikanten heiraten können – aber vielleicht wäre der jetzt schon pleite. Ein Studienrat kann wenigstens nie pleite gehen …
»Wir müssen uns für Manfred etwas einfallen lassen«, sagte Dorothea und cremte ihr Gesicht für die Nacht mit einer Nährcreme ein. Sie roch schwach nach Vergißmeinnicht. »Sonst werden die Ferien eine Katastrophe. Du weißt, wie launisch Manfred sein kann.«
»Verzogen und verwöhnt!«
»Daran sind wir beide schuld, Muckel. Der Nachkömmling … die Überraschung …«
Hermann Wolters nickte. War das damals ein Ereignis! Acht Jahre nach Gabis Geburt kriegt Hasi abends im Bett einen roten Kopf und flüstert mir ins Ohr: »Ich war beim Arzt. Wir bekommen das dritte!« Dann hat sie geweint, und ich habe dagelegen wie ein Stock und gedacht: Das Kindergeld, das es für das dritte Kind gibt, ist lächerlich. Das reicht nicht mal für die Babynahrung. Das Gehalt wird also wieder schmaler. Der alte Opel muß nun noch ein paar Jahre länger über die Straße klappern. Nein, ich kaufe nichts auf Kredit. Kein Darlehen, keine Abzahlungen! Ratenzahlungen sind wie eine Hydra – überall wachsen die fauchenden, hungrigen Köpfe nach und fressen einen auf. Hermann Wolters kauft nur das, was er bar bezahlen kann. Und das wird jetzt knapp! Nach acht Jahren noch ein Kind … Na ja, wir sind ja noch relativ jung, Hasi dreißig, ich sechsunddreißig. Das packen wir schon noch.
Und dann kam das Kind zur Welt, ein Junge auch noch, und wurde auf den Namen Manfred getauft – nach einem Onkel, der in Biberach eine Fleischerei mit einer Imbißstube besaß und in der Sommersaison das Geld abends in einem Spankorb heimtrug.
Wen wundert es, daß Manfred wie in Watte gepackt aufwuchs und sich zu einem Ekel entwickelte, vor allem dann, wenn er einmal seinen Willen nicht bekam. Seine beiden größeren Geschwister verkehrten nur brüllend mit ihm oder verdroschen ihn, wenn sie mit ihm allein waren.
Eines tat Manfred allerdings nicht: Er beschwerte sich nicht bei seinen Eltern darüber, er petzte nicht. Er revanchierte sich anders. Als noch nicht schulpflichtiger Kleiner pinkelte er Walter ins Bett oder legte eine tote Maus unter Gabis Kopfkissen. Später ließ er einige Liebeleien von Walter platzen, indem er dem jeweiligen Mädchen erzählte: »Du, mein Bruder hat noch drei andere. Dich hält er für doof, hat er gesagt.«
Seine Glanzleistung aber war die Abschmetterung von Gabis erstem Verehrer, dem er mitteilte: »Ach, du bist der Willi? Der Stinker? Gabi behauptet, du stinkst so nach Ziegenbock …«
Es gab ein Drama mit hysterischem Geheule und wilden Drohungen im Hause Wolters, und zum ersten Mal in seinem Leben erhielt Manfred von seinem Vater zwei Ohrfeigen. Eine Woche lang übersah er daraufhin seine Eltern, nahm schweigend seine Mahlzeiten ein, ging schweigend ins Bett. Bis Dorothea ihm eine Tafel Nußschokolade schenkte. Welche Mutter kann schon acht Tage lang einen schweigenden Sohn ertragen?!
»Ich habe mir auch darüber Gedanken gemacht!« sagte Wolters jetzt. Es war ernüchternd
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