Mit Familienanschluß
Wir sind verlobt und wollen nächstes Jahr heiraten.«
»Sehr erfreut!« sagte Wolters steif und gab Dr. Hendrik die Hand. »Und meine Gratulation. Sie bekommen eine wunderbare Frau.«
»Das weiß ich.« Dr. Hendrik begrüßte Dorothea mit einem Handkuß und erwies sich als sehr gebildeter Mann. Nur seine zur Schau getragene Glückseligkeit empfand Wolters als unpassend. Man braucht ja nicht so öffentlich zu zeigen, wie man zu einer Dame steht!
»Eva hat sich so wohl bei Ihnen gefühlt«, fuhr Dr. Hendrik fort. »Sie hat mir jede Woche geschrieben und alles berichtet. Ich habe Ihnen zu danken …«
Und wieder gab es einen Abschied. Natürlich stieg Eva in Dr. Hendriks Wagen und fuhr mit ihm nach Hause. Manfred begann wieder zu heulen und rief immer wieder: »Wann kommst du zu uns, Eva? Wann kommst du wieder? Bring doch Onkel Rolf mit …«
Der Junge ist schrecklich, dachte Wolters. Was soll ich mit Dr. Hendrik in meiner Wohnung? Das wäre nun der Gipfel: Eva Hand in Hand mit Rolf vor meinen Augen. Jede Leidensfähigkeit hat ihre Grenze. An meiner bin ich nun angelangt.
»Ich komme sobald wie möglich, um meine Koffer abzuholen«, sagte Eva. »Ich rufe euch vorher an. Ich … ich werde euch alle sehr vermissen.« Sie küßte Manni, sie umarmte Dorothea und gab ihr einen Kuß, dann zögerte sie, warf die langen Haare zurück und umarmte auch Wolters. Ihr Kuß, mehr töchterlich als sinnlich, durchrann ihn heiß, und er war froh, als alles vorbei war. In seinen Schläfen pochte es.
Mit einem Taxi fuhren sie dann nach Hause, und Manfred heulte so lange, bis Wolters voller Groll, Grobheit und Wehmut schrie: »Hör endlich auf mit der Flennerei! Noch einen Ton, und ich klebe dir eine!«
Es ist schlimm, jemanden heulen zu sehen, wenn einem selbst das Herz bleischwer in der Brust liegt.
Am Abend war es dann wie immer.
Dorothea saß vor ihrem großen Frisierspiegel, cremte sich ein, hatte die Haare mit einem Band zurückgebunden, und ihre Nacktheit war so selbstverständlich wie Hermann Wolters' Brustkratzen, bevor er sich ins Bett legte und aus dem Stapel Bücher auf seinem Nachttisch die Einschlaflektüre auswählte.
Dorothea blickte zu ihm hinüber und sah, wie er gedankenverloren vor sich hinstarrte.
Da mußt du durch, mein Lieber, dachte sie mit einem Funken Mitleid. Das mußt du nun schlucken, Muckel! Es hat dich tief getroffen, was? Der reife Mann muß abseits stehen und erleben, wie ihn seine Jahre aus dem Rennen werfen. Das ist schwer zu verdauen … Ich glaub' es dir, Muckel. Aber das mußt du überwinden; es gibt keinen Weg mehr zurück zur Jugend. Das ist nun mal das Gesetz des Lebens: Der Mensch geht seinen Weg und macht Platz für die Nachkommenden.
»Muckel …«, sagte Dorothea langsam. So viel Zärtlichkeit schwang in ihrer Stimme, daß Wolters zu ihr hinschaute, als höre er sie zum ersten Mal und sähe sie auch zum ersten Mal in ihrer nackten Schönheit. »Kopf hoch! Jetzt sind wir wieder allein … Sieh dich doch einmal genau an, Hermann: ein bißchen gelichtetes Haar, ein kleines Doppelkinn, eine flache Brust, ein Bauchansatz, etwas zum X neigende Beine … Und sie ist dreiundzwanzig! Auch du warst einmal so jung, als wir uns kennenlernten. Vor einem Kino war's, ich durfte gerade hinein, weil ich achtzehn war … Und damals, Muckel, sahst du anders aus; in meinen Augen warst du der tollste Mann, der mir je begegnet war … Wie Dr. Hendrik für Eva. Und so wie damals habe ich dich noch in meinem Herzen. Für mich hast du dich nicht verändert …«
Er schwieg, legte sich zurück, wartete, bis Dorothea neben ihm lag, und verzichtete darauf, seine Cromwell-Biographie weiterzulesen. Er wartete, bis Dorothea das Licht löschte, dehnte sich wohlig, kroch an ihre Seite, fühlte ihren festen, warmen Körper und legte den Kopf in Dorotheas Handfläche.
»Weck mich morgen um sieben, Hasi«, sagte er glücklich. »Ich habe gesehen – der Rasen muß dringend gemäht werden.«
Dann schlief er ein, sehr schnell und zufrieden.
Ein Ehemann wie Millionen andere …
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