Mit Freuden begraben – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
Mit aufgestütztem Kinn saß sie da und gab sich düsteren Gedanken hin. Wie die meisten Menschen litt sie unter der irrigen Annahme, geistige Qualen seien grundsätzlich schwerer zu ertragen als physische (ob jedoch alle, die in diesem Glauben leben, im Ernstfall einen Monat akuten Rheumas einem Monat ernstlicher Besorgnis vorziehen würden, muss bezweifelt werden). Aus diesem Grund schrieb sie ihre augenblickliche Verstimmtheit nicht der Tatsache zu, dass sie unter sengender Sonne törichterweise ihr Auto poliert hatte, sondern der unerklärlichen Unentschlossenheit, die Robert, siebzehnter Earl of Sanford, in Liebesdingen an den Tag legte. Die Dorfbewohner, das wusste sie, erwarteten eine baldige Heirat. In diesem Punkt jedoch waren sie katastrophal übereifrig. Nicht nur, dass es gar nicht um Heirat ging. Es ging nicht einmal um ein Verhältnis. Und das war es, worüber Diana sich ärgerte, denn sie war in Robert, siebzehnten Earl of Sanford, unsterblich verliebt, und das seit dem Tag, als er sie zum ersten Mal gerufen hatte, um sich von Sanford Hall zum Bahnhof chauffieren zu lassen. Bei dieser Gelegenheit hatten sie sich ganz beiläufig über ganz beiläufige Themen unterhalten. Hin und wieder, und mit großem zeitlichen Abstand, hatten sie diesen harmlosen Vorgang wiederholt. Dann hatte sie einmal erwähnt, dass es in der Umgebung keine gute Möglichkeit gäbe, schwimmen zu gehen, woraufhin er sie eingeladen hatte, im See auf dem Anwesen von Sanford Hall zu baden, wann immer sie wolle. Und dann eines Tages war er dazugekommen, um ihr beim Baden Gesellschaft zu leisten, und während sie danach in der Sonne lagen und trockneten, hörten sie auf, beiläufig über beiläufige Themen zu sprechen. Stattdessen fingen sie an, erbittert über Politik zu streiten. Dann hatten sie damit begonnen, sich wechselseitig zum Tee einzuladen, wobei sie dann erbittert über Politik stritten. Und das war absolut alles, was passiert war. Sie hatte den Eindruck, Robert habe sich darauf eingestellt, bis in alle Ewigkeit erbittert über Politik zu streiten. Er hatte nie seinen Arm um sie gelegt; er hatte sie ganz sicher nie geküsst; er hatte sich, nach allem, was sie erinnerte, nicht einmal so menschlich gezeigt, einen Blick auf ihre Beine zu werfen – und die waren mehr als einen Blick wert … Was zum Teufel war also mit dem Mann los? Sie war sicher, wenn auch auf eine etwas naive Art, dass kein anderes Mädchen dahinter steckte. Ihre Eitelkeit wehrte sich gegen den Gedanken, dass er sie in keinster Weise attraktiv finden sollte, nicht einmal körperlich. Außerdem zählte er ganz offensichtlich nicht zu der Sorte von Männern, die Frauen von Natur aus nichts abgewinnen können. Der einzige Schluss, zu dem sie kam, war folglich der, dass irgendetwas in seiner Erziehung ihn unnatürlich schüchtern dem anderen Geschlecht gegenüber gemacht hatte. Und wenn es so war, was konnte sie dann dagegen unternehmen? Sie konnte den Gedanken, vollkommen mit ihm zu brechen, nicht ertragen; aber so weiterzumachen wie bisher erschien ihr fast ein noch schlimmeres Martyrium zu sein. Und wie es aussah, bräuchte es schon ein Wunder, damit er sie als etwas Wichtigeres oder anderes betrachtete als eine Taxifahrerin mit konservativen Ansichten. Diana runzelte besorgt die Stirn. Sollte sie in irgendeiner Form die Initiative ergreifen? Wohlerzogene junge Damen werfen sich nicht jungen Männern an den Hals – was aber natürlich verdammt egal war. Die Frage war, ob ihn eine solche Vorgehensweise ein für allemal vergraulen würde.
»Ach, verdammt«, seufzte Diana nun. »Verdammt, wenn ich nur wüsste, was zu tun ist. Warum musste ich so blöd sein und mich ausgerechnet in ihn verlieben? Ich brauche ihn nur von weitem zu sehen, und schon bekomme ich so weiche Knie wie ein Schulmädchen vor einem James-Mason-Plakat.«
Bedrückt und verärgert grübelte sie über diesen demütigenden Vergleich und die undeutliche, aber stechende Scham über ihre nicht erwiderte Zuneigung nach. Die Sonne schien von Sekunde zu Sekunde heißer und unerträglicher zu brennen. Bald schweiften ihre Gedanken zum See ab, und sie entschied, dass es viel vernünftiger wäre, jetzt dort ein Bad zu nehmen, anstatt noch länger so unbequem hier herumzusitzen und sich schäbigerweise in Selbstmitleid zu suhlen. Sie hatte bis nach dem Tee keine Fahrt angenommen, und wenn irgendjemand den Wagen wegen eines Notfalles brauchte, müsste er einfach ohne sie zurechtkommen … Diana erhob
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