Mit Freuden begraben – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
schienen die Zuhörer vor Überraschung viel zu überwältigt, um laut zu protestieren.
»Das, was gemeinhin mit dem Gespür der Briten in politischen Fragen gemeint ist«, fuhr Fen fort, »stellt sich bei näherer Betrachtung als die simple Tatsache dar, dass die Briten bis vor kurzem noch in politischer Apathie lebten und den bizarren Ausschweifungen ihrer gewählten Volksvertreter so wenig Aufmerksamkeit schenkten, wie nur irgend möglich war. Hierin liegt der Grund für die reibungslose Entwicklung, die unsere Nation im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern durchlief. Unsere viel gerühmte Kompromissfähigkeit, heute kaum noch zu finden, leitete sich aus keiner schleierhafteren oder komplizierteren Sache ab als der generellen Gleichgültigkeit jedweder Diskussion gegenüber, die womöglich gerade im Gang ist – was wir in unserer Eitelkeit natürlich Toleranz nennen. Die Propaganda hat mit alldem jedoch aufgeräumt, und heutzutage erzeugt die Politik Hitzköpfigkeit, Verzweiflung, Wut und eine Vielzahl anderer fragwürdiger Emotionen in allen Bevölkerungsschichten. Ein für alle Mal hängen wir an der Gurgel unseres Gegenüber fest; das Sicherheitsventil, unsere Gleichgültigkeit, ist überlastet und jenseits aller Reparaturmöglichkeit zerstört. Nur hier und da hat sie überlebt, und mit Freude stelle ich fest, dass sie in diesem Wahlkreis eine ihrer letzten Hochburgen hat. Ich gratuliere diesem Wahlkreis dazu. Und ich gebe diesem Wahlkreis den dringenden Rat, beim Auftauchen von Zwangsreformern, die behaupten, sich für Politik zu interessieren sei jedermanns Pflicht, mit solchen Herrschaften kurzen Prozess zu machen und sie davonzujagen. Denn für solche Behauptungen lässt sich nicht eine einzige Rechtfertigung finden, weder aus Gründen der Moral, der Metaphysik, der Zweckdienlichkeit noch der Vernunft. Lassen Sie sich nicht zu der Annahme hinreißen, politisches Desinteresse sei gefährlich. Diktatoren wie Hitler, Mussolini und Stalin gelangten nicht durch Desinteresse, sondern durch Massenfanatismus an die Macht. Darin, meine Lieben, liegt die Gefahr. Aber Sie sind so damit beschäftigt, mit offenem Mund zu mir heraufzustarren und sich zu fragen, ob ich den Verstand verloren habe, dass ich eine Woche lang weiterreden könnte, ohne Sie zu überzeugen. Ich habe nicht vor, eine Woche lang zu reden. Der politische Fanatismus ist dabei, England zu überfluten, und weder ich noch irgendein anderer können ihn jetzt noch aufhalten, nicht mit Taten und nicht mit Worten.
Ich werde Ihnen jetzt den Grund dafür verraten, warum Fanatismus dieser Sorte die Menschen so fasziniert. Ein zeitgenössischer französischer Schriftsteller – dessen Namen ich an dieser Stelle nicht nennen werde, da Sie vermutlich zu dumm sind, ihn zu kennen oder sich später an seinen Namen zu erinnern – hat mit unwiderlegbarer Logik aufgezeigt, dass Menschen bestimmte Überzeugungen annehmen, nicht, weil sie diese Überzeugungen als wahr erachten oder weil ihnen diese Überzeugungen zweckdienlich erscheinen, sondern weil diese Ideen ein natürliches Grundbedürfnis befriedigen. Und nun frage ich Sie: Welches Gefühl stellt für die politisch Besessenen den Hauptantrieb dar? Sie antworten mir nicht, denn Sie haben über diese Angelegenheit noch nie nachgedacht. Wenn Sie es aber tun würden, könnten vielleicht sogar Sie eine dunkle Ahnung davon bekommen, dass die Antwort auf meine Frage in einer einzigen Silbe liegt: Hass . Vergessen Sie niemals, dass politische Eiferer Menschen sind, die ihrem emotionalen Bedürfnis nach Hass über jedes Maß hinaus nachgehen. Natürlich verfügen sie über konstruktive ›Programme‹, aber es sind nicht diese Programme, die ihnen den Brennstoff für ihre verkommene Maschinerie liefern. Es sind die dazugehörigen Attacken – gegen eine Gruppe, ein System, eine Person; es ist die Lust zu diffamieren und zu zerstören. Trauen Sie solchen Männern niemals. Dass sie, jetzt und für alle Zeiten, dazu verdammt sind, in der schlimmsten aller Höllen zu landen, ist ein Umstand, der mir, wie ich zugeben muss, nicht sonderlich zu schaffen macht; mit der spirituellen Seite der Frage will ich mich gar nicht auseinander setzen. Dennoch treten gewisse, nicht unwichtige praktische Konsequenzen zutage, und eine davon möchte ich Ihnen mittels einer kleinen Fabel erläutern, die ich schlauerweise für diese Gelegenheit erdacht habe.
In einem Wald lebten einst drei Füchse mit den Namen Shadrach, Meshach
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