Mit Freuden begraben – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
Sie können mir glauben, alter Junge, dass Sie den Karren gründlich in den Dreck gefahren haben.«
»Meinen Sie wirklich?«
»Sie können von Glück sagen«, sagte Captain Watkyn mit Nachdruck, »wenn Sie überhaupt eine einzige Stimme bekommen.«
Und Fen lächelte.
Kapitel 20
Dass die Presse auf Fens Rede mit einer Verschwörung des Schweigens reagierte, überraschte eigentlich nicht. Die Redakteure machten ein ungläubiges Gesicht und wollten von den bedrückten Reportern wissen, ob diese betrunken oder einfach nur verrückt geworden seien. Die Herausgeber hielten eilig mit den Eigentümern ihrer Blätter Rücksprache und bekamen die Order, die Angelegenheit nicht zu erwähnen. Niemand sollte politisches Kapital daraus schlagen, und obwohl man vielleicht einen Bericht von der Veranstaltung hätte bringen können, wäre Fen nachweislich verrückt gewesen, verwarfen alle Beteiligten diese verführerische Möglichkeit einstimmig. So blieb ihnen als letzte Maßnahme nur absolutes Stillschweigen.
So weit hatte Fen die Sache selbst vorausgesehen. Was er überhaupt nicht vorausgesehen hatte, war die verquere Reaktion der Ortsansässigen auf seine Rede. Einen ersten Vorgeschmack darauf bekam er am nächsten Morgen, dem Samstag, von Mr. Judd. Fen war spät aufgestanden; und als er gegen Mittag in der Schankstube der Herberge eintrudelte, fand er dort Mr. Judd auf einem Barhocker sitzend vor, wie er die anmutigen Bewegungen von Jacqueline mit der gespannten Aufmerksamkeit einer Katze verfolgte, die einen Vogel belauert. Fen hatte der Begegnung mit Mr. Judd nicht gerade mit Freuden entgegengesehen. Denn obwohl er wusste, dass Mr. Judds Engagement für einen unabhängigen Kandidaten nahezu vollkommen eigennützig war, fühlte er sich dennoch schuldig, die anderen zutiefst und über alle Maßen hintergangen zu haben. Deswegen war er umso überraschter, als Mr. Judd ihn ganz offenbar mit aufrichtiger Herzlichkeit begrüßte.
»Mein lieber Fen, was für eine Freude! Kommen Sie und trinken Sie etwas. Was soll’s denn sein?«
»Nun ja, Whisky.«
»Jacqueline, meine Liebe, einen doppelten Whisky, bitte … Fen, ich muss Ihnen zu Ihrer Rede gestern Abend gratulieren.«
»Mir gratulieren?«, wiederholte Fen ungläubig.
»Natürlich. Sie war köstlich.«
»Judd, sind Sie sicher, dass Sie verstanden haben, was ich dort sagte?«
Kichernd bezahlte Mr. Judd den Whisky. »Natürlich bin ich das. Sie haben die Briten auf das Schärfste angegriffen und ihnen eine Zukunft in unabwendbarem Schrecken prophezeit.«
»Aber Sie können das doch unmöglich gutheißen .«
»Ich stimme nicht mit Ihnen überein«, sagte Mr. Judd ernster, »aber das ändert nichts an der Tatsache, dass es ein Riesenspaß war.«
Fen war entsetzt. »Spaß?«, wiederholte er.
»Genau. Kennen Sie die Essays von H. L. Mencken?«
»Ich schätze sie ungemein. Ich kann nur der Hälfte seiner Behauptungen zustimmen, aber die Art und Weise, in der er seine Behauptungen aufstellt, ist meisterhaft.«
»Genau das wollte ich über Ihre Rede sagen. Selbstverständlich war ich anfangs erschreckt, aber dann habe ich sehr bald Vergnügen daran gefunden.«
» Aber ich habe die Leute absichtlich verunglimpft .«
»Einverstanden. Sie dürfen aber nicht vergessen, dass die Verunglimpfungen mehr oder weniger unpersönlich waren. Viel wichtiger ist doch, dass Sie unverkennbar glücklich waren, und Glück ist ansteckend. Und noch viel wichtiger ist, dass nur sehr wenige Sie ernst genommen haben.«
»Wollen Sie sagen, dass man die ganze Sache als eine Art Varieténummer aufgefasst hat?«
»Nun, irgendwie schon. Leider kann ich es nur schwer erklären, aber die Menschen haben eine merkwürdige Veranlagung dafür, es zu genießen, auf genüssliche und übertriebene Weise beschimpft zu werden. Deswegen haben die Feuer-und-Schwefel-Prediger auch solchen Zulauf. Und selbst wenn Sie Verunglimpfungen von sich geben, mein lieber Freund, versprühen Sie immer noch einen überaus verführerischen persönlichen Charme.«
»Charme«, murmelte Fen zutiefst verstimmt.
»Natürlich waren einige Leute sehr erbost. Aber eine ganz erstaunliche Anzahl war es nicht. Wissen Sie, es war, verglichen mit dem, was sie erwartet hatten, eine solche Erleichterung . Oh je, ich drücke mich wohl sehr ungeschickt aus. Aber die Tatsache bleibt bestehen: Sie mögen einige Wähler abgeschreckt haben, aber dass Sie reinen Tisch gemacht haben, hat Ihnen wahrscheinlich mehr Stimmen beschert, als es Sie
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