Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)
beiden herum, und ich sehe von einem zum anderen: »Hey, nun schaut doch nicht so. Ich komme schon klar.«
»Bist du sicher?«, fragt Luisa und streichelt mir mit einer zarten Bewegung über den Unterarm. Ich merke, dass es eine schlechte Idee ist, jetzt berührt zu werden. Deshalb weiche ich einen Schritt zurück. Hilflos wende ich mich an Lutz: »Ich wäre jetzt einfach gerne ein bisschen allein.«
»Okay, verstanden«, antwortet er, »wir sind schon weg.« Damit nimmt er Luisas Hand, und gemeinsam verschwinden sie in seinem Zimmer. Ich gehe langsam ins Wohnzimmer und lasse mich auf die Couch fallen, greife nach der dunkelroten Wolldecke und mummele mich darin ein. Ich schlinge meine Hände um die angezogenen Beine und lasse den Kopf auf die Knie sinken. Plötzlich fühle ich mich zu Tode erschöpft. Wie konnte all das bloß passieren? Wieso nur habe ich diesen verdammten Adventskalender nicht schon viel früher geöffnet? Oder von mir aus überhaupt nicht. Warum jetzt, in diesem Moment? Wenn es zu spät ist. Simon wollte mich heiraten. Er muss mich wirklich sehr geliebt haben. Und ich habe alles kaputt gemacht, einfach alles. Die Tränen strömen mir über die Wangen. Eine ganze Weile sitze ich da und beweine mein Schicksal. Ich habe meinen Mann verloren. Meinen wundervollen, aufmerksamen, liebevollen, zärtlichen Mann. Vor lauter Schluchzen werde ich regelrecht durchgeschüttelt, aber irgendwann beruhige ich mich wieder etwas und hebe den Kopf. Ich werde Simon morgen anrufen und ihn um ein letztes Treffen bitten. Ich werde ihm sagen, was ich für ihn empfinde, dass ich ihn immer lieben werde, ihm aber sein neues Glück dennoch von Herzen gönne. Bei diesem Gedanken schlucke ich schwer. Na ja, ich werde mich zumindest bemühen, ihm sein Glück mit Laura zu gönnen. Und dann werde ich die Scherben meines Herzens aufsammeln und von vorne anfangen. Obwohl ich mir reichlich pathetisch vorkomme, geht es mir schon ein bisschen besser.
»Ich schaffe das«, sage ich leise und sehe zu Tristans Aquarium hinüber. »Nicht wahr, Tristan? Wir schaffen das.« Um zu sehen, ob Tristan mir zustimmt, stemme ich mich ein wenig mühsam vom Sofa hoch und gehe zu ihm hinüber. Er kommt mir schwanzflossenwedelnd entgegen, öffnet und schließt den Mund in der für ihn typischen Art und Weise. Ich lege meinen Zeigefinger gegen das kühle Glas, und er scheint von der anderen Seite dagegenzustupsen. »Du bist also auch …«, meiner Meinung, will ich sagen, als ich stutze und vor dem Aquarium in die Knie gehe. Was ist das da an Tristans Stirn? Besorgt kneife ich die Augen zusammen. Er hat ganz eindeutig einen schwarzen Fleck am Kopf, der mir vorher noch nicht aufgefallen ist. Können Goldfische etwa Hautkrebs kriegen? »Du darfst mich nicht auch noch verlassen«, sage ich zu Tristan und kämpfe schon wieder mit den Tränen, als ich plötzlich in seinem Felsenhaus eine Bewegung wahrnehme. Eine Sekunde später kommt aus der untersten Öffnung jemand hervorgeschwommen. Ein Goldfisch. Zielstrebig paddelt er auf mich zu, gesellt sich neben seinen Artgenossen und stupst ihn mit der Nase gegen den Kopf.
»Tristan? Bist du das?«, frage ich verwirrt und mustere den Fisch mit zusammengekniffenen Augen. Er hat keinen schwarzen Fleck und sieht auch sonst genau so aus wie mein Tristan. »Aber wer bist dann du?«, wende ich mich an den gepunkteten Goldfisch, der darauf keine zufriedenstellende Antwort liefert, sondern sich stattdessen von Tristan umgarnen lässt. Etwas konsterniert überlasse ich die beiden ihrem Flirt und erhebe mich langsam wieder vom Boden. Wie kommt der Fisch hierher? Ich will gerade Lutz und Luisa fragen, ob sie einen neuen Fisch ins Aquarium gesetzt haben, als mein Handy, das auf dem Couchtisch liegt, piepsend eine SMS ankündigt. Die Nummer kenne ich nicht. Komisch.
TRISTAN HAT SEINE ISOLDE GEFUNDEN. Ich fahre erschrocken zusammen und sehe mich verstohlen um. Was geht denn hier bloß vor? Aber da piepst es schon wieder.
FOLGE DEN BROTKRUMEN lautet die neue Nachricht. Das Telefon noch in der Hand, trete ich auf den Flur. Mein Blick bleibt auf etwas am Boden hängen. Irritiert lasse ich den Arm sinken und gehe einen Schritt darauf zu. Da liegt ein Kinder-Schokobon mitten auf dem Laminatfußboden. Und da hinten, vor der Wohnungstür, liegt noch eins. Folge den Brotkrumen. Ich stecke mein Telefon in die hintere Hosentasche, bücke mich, klaube die Bonbons vom Boden auf und trete dann ins Treppenhaus. Eine Spur von
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