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Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)

Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)

Titel: Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Voosen
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…«
    »Diese Männer haben auch alle Probleme, glauben Sie mir. Die meisten sind verheiratet und arbeiten trotzdem sechzig und mehr Stunden die Woche. Und diese Leute verdienen es dann auch, Manager zu werden.« In diesem Moment kommt Frau Sandner mit meinem Wasserglas herein.
    »Danke«, sage ich, denn tatsächlich ist mein Mund mittlerweile so ausgetrocknet wie die Wüste Gobi. Meine Gedanken rasen, und ich versuche irgendwie einzuordnen, was mein Chef da gerade vom Stapel lässt. Ich trinke in langen Zügen und wünschte, ich hätte ein Diktiergerät in meiner Handtasche, mit dem ich die chauvinistischen Ausführungen von Herrn Huber für die Nachwelt aufzeichnen könnte. Ich atme tief ein und sehe Herrn Huber in die Augen:
    »Bin ich gefeuert?«, erkundige ich mich ohne das leiseste Zittern in meiner Stimme. Doch mein Gegenüber schüttelt resigniert den Kopf.
    »Ich kann es moralisch schlecht mit mir vereinbaren, Ihnen zu kündigen, während Sie krankgeschrieben sind.« Das Bedauern über diese Tatsache ist nicht zu überhören. »Sie sind doch krankgeschrieben?« Ja, natürlich. Während ich in meiner Handtasche nach dem gelben Zettel krame, danke ich Dr. Lindemann nachträglich dafür, dass er auf der Krankschreibung bestanden und mich damit vor der Kündigung gerettet hat.
    »Für die nächsten sechs Wochen«, verkünde ich und wedele den Wisch wie eine Siegesfahne durch die Luft.
    »Dann sollten Sie jetzt nach Hause gehen. Danach sehen wir weiter«, meint Huber unbestimmt und erhebt sich. Die Unterredung ist anscheinend beendet. Das ist nicht gut, gar nicht gut.
    »Einen Moment mal«, flehe ich beinahe und weigere mich, den Sessel, auf dem ich sitze, zu verlassen, »ich habe nicht vor, sechs Wochen lang zu Hause zu bleiben.«
    »Ach nein.«
    »Nein, sehen Sie, ich habe mir den ganzen Tag den Kopf über das Vereinsbank-Projekt zerbrochen«, jedenfalls wenn ich nicht gerade bewusstlos war, füge ich im Geiste hinzu, »ich bin mir sicher, dass ich den Schaden zumindest begrenzen kann. Gleich morgen Früh nehme ich die erste Maschine nach München und …«
    »Sie dürfen nicht arbeiten, wenn Sie krank sind.«
    »Aber ich bin nicht krank, sehen Sie«, sage ich und zerreiße die Krankschreibung vor seinen Augen in winzig kleine Fetzen.
    »Das ist wirklich überzeugend«, bemerkt Huber trocken, und ich schäme mich ein bisschen. Was ist bloß los mit mir? Ich wollte doch kompetent und verständig auftreten und jetzt schmeiße ich hier eine Konfettiparty.
    »Verzeihung, ich weiß auch nicht, warum …«, beginne ich und schiebe die Schnipsel auf der glänzenden Schreibtischoberfläche zu einem ordentlichen Haufen zusammen. »Aber hören Sie, ich bin wirklich nicht krank.«
    »Sie sind krankgeschrieben und damit nicht versichert. Wenn Ihnen während der Arbeitszeit etwas passiert …«
    »Es tut mir Leid«, sage ich. »Bitte, ich gehe morgen zum Arzt und lasse mich gesundschreiben. Ich kann das Projekt retten. Geben Sie mir eine Chance. Was soll denn mein Team da unten in München jetzt machen?«
    »Es ist schon jemand unterwegs, der den Karren für Sie aus dem Dreck zieht«, versetzt Huber, und ich starre ihn mit offenem Mund an. »Bitte gehen Sie jetzt nach Hause und legen Sie sich hin. Ich will Sie nicht feuern, aber vielleicht sollten Sie darüber nachdenken, ob Sie dem Job wirklich gewachsen sind.« Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, aber Herr Huber dreht mir abrupt den Rücken zu und erklärt somit das Gespräch für beendet. Wie betäubt stehe ich auf, meine Beine zittern leicht, als ich die Tür zum Vorzimmer öffne.
    »Auf Wiedersehen«, sage ich leise, doch es kommt keine Antwort mehr. Frau Sandner wirft mir einen mitleidigen Blick zu, als ich an ihr vorbeigehe und schwach mit dem Kopf nicke. Langsam gehe ich den Flur hinunter in Richtung Aufzug, hole vorher noch meinen Koffer aus dem Waschraum. Nichts ist zu hören außer meinen Absätzen auf dem Boden, dem leisen Schleifen des Koffers auf den glatten Fliesen, dem Surren der Neonleuchten über mir, meinem schwerfälligen Atem und dem dumpfen Schlagen meines Herzens, das ich plötzlich überdeutlich in den Schläfen spüre. Jetzt nur nicht umfallen. Ich möchte das Gebäude wenigstens mit einem Rest an Würde verlassen. Endlich kommt der Aufzug, und ich trete aufatmend in die hell erleuchtete, verspiegelte Kabine. Ein letzter Blick zurück, dann schließt sich lautlos die Stahltür.
     
    Am nächsten Morgen erwache ich von einem Geräusch und

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