Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)

Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)

Titel: Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Voosen
Vom Netzwerk:
Abends. Gegen Mitternacht liegt mein Vater auf dem Sofa, dreht sein Rotweinglas zwischen den Fingern und betrachtet versonnen die geringelten Socken an seinen Füßen. Meine beiden Nichten wollen ihre neuen Pudelmützen, türkis für Anna, pink für Klara, mit ins Bett nehmen, Chrissy hält an ihren rosa Pulswärmern fest, trotz der Hitze, die vom knisternden Kaminfeuer verbreitet wird. Wer hätte gedacht, wie einfach man Menschen glücklich machen kann? Mit ein paar Wollknäueln und Stricknadeln, einem Bogen Papier und Geschenkband. Der Bildband über Leonardo da Vinci für einhundertfünfzig Euro hat meinen Vater im letzten Jahr nicht halb so erfreut wie die Strümpfe, in denen er jetzt zufrieden mit den Zehen wackelt. Ich lehne mich in dem gemütlichen Ohrensessel zurück und nippe an meinem Glas. Während alle anderen Rotwein trinken, gibt es für Anna, Klara und mich Kinderpunsch ohne Alkohol. Aus dem uralten Plattenspieler erklingt leiernd »Stille Nacht, heilige Nacht«, gesungen von den Wiener Sängerknaben, obwohl ich meinen Eltern vor drei Jahren die entsprechende CD und außerdem einen CD-Player geschenkt habe, der angeblich nicht funktioniert. Genauso wie der DVD-Spieler. Eigentlich wehren sich meine Eltern einfach nur durch absolutes Dummstellen gegen diesen ganzen »neumodischen Kram«, da kann ich noch so oft mit Engelszungen auf sie einreden, dass man einen CD-Spieler nun wirklich nicht mehr als technische Neuerung bezeichnen kann.
    Die Kinder sind im Bett, und wir Erwachsenen sitzen still beisammen und hängen unseren Gedanken nach. Meine wandern irgendwann, wie sollte es anders sein, zu Simon. Es ist das erste Weihnachtsfest seit sieben Jahren, das wir nicht gemeinsam verbringen. Heiligabend bei meiner Familie, erster Feiertag bei seiner. Ich vermisse ihn schrecklich.
     
    Das neue Jahr fängt genauso trostlos und grau an, wie das alte sich verabschiedet hat. Schweren Herzens bin ich nach Silvester endlich wieder aus dem Schoß der Familie gekrochen, um zurück nach Hamburg zu fliegen. Heute ist der fünfte, und nach den beschaulichen Feiertagen, nachdem alle ihren Silvesterrausch ausgeschlafen haben, geht es mit Schwung zurück in die Arbeitswelt. Zumindest für die meisten meiner Mitmenschen. Nicht für mich. Ich werde wahnsinnig, wenn ich nicht bald etwas zu tun bekomme. Als mir zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, laufe ich zu Fuß in die Hamburger Innenstadt, wo ein buntes Treiben herrscht. Ich schlage meinen Mantelkragen nach oben, um mich gegen den scharfen Wind zu schützen, und schlendere an den Schaufenstern vorbei, die hier und da noch von der letzten Weihnachtsdekoration befreit werden. Dem tapferen Straßenmusiker, der trotz der Eiseskälte mit klammen Fingern seine Gitarre bearbeitet und dabei aus Leibeskräften »Let it be« singt, werfe ich ein Zweieurostück in seinen Instrumentenkasten, was er mit einem erfreuten Kopfnicken quittiert. Ich verlangsame meine Schritte, weil sich auf dem Bürgersteig vor C&A ein Stau gebildet hat. Inmitten einer bunten Kinderschar steht ein gelb-roter Hund mit riesigem Kopf und verfilztem, gefleckten Fell und macht allerhand Mätzchen, jagt seinem eigenen Schwanz hinterher und führt zu guter Letzt eine Art Stepptanz vor. Dann beendet er seine Vorstellung und nimmt den Applaus der vielen kleinen Hände sich verbeugend entgegen, wobei er seinen Kopf festhalten muss, damit er ihm nicht abfällt. Er greift in seine Bauchtasche und fördert kleine Tüten mit Süßigkeiten zum Vorschein, die er unter lautem Jubel an die Umstehenden verteilt. Er tätschelt hier einen Kopf, schüttelt da ein kleines Händchen, während er sich einen Weg durch die Masse bahnt. Er kommt direkt auf mich zu, ein intensiver Duft nach Mottenkugeln eilt ihm voraus. Unter der langen Schnauze mit der schwarzen, leicht abgescheuerten Spitze lugt das Gesicht eines jungen Mannes hervor.
    »Na, Lady, auch was Süßes?«, fragt er und streckt seine pelzige, gelbe Hand nach mir aus.
    »Nein, danke«, schüttele ich den Kopf.
    »Nicht, dass Sie nicht selber süß genug wären«, versichert er, und ich sehe seinen Mund unter dem Hundemaul breit grinsen.
    »Sehr originell«, versetze ich steif.
    »Nein, nicht besonders«, feixt er und fuchtelt mir mit einer Gummibärchentüte vor dem Gesicht herum. »Nicht doch ein Tütchen?«
    »Ich habe Nein gesagt«, blaffe ich ihn an und gehe schnell weiter.
    »He, Moment mal«, ruft er mir hinterher, aber ich bin jetzt nicht in der Stimmung, mich von

Weitere Kostenlose Bücher