Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)
und rechtzeitig auf den Weg bringen, das werde ich ja wohl noch hinbekommen.
Dennoch habe ich ziemlich weiche Knie, als es in der darauffolgenden Woche Zeit für die »Aufmerksamkeit des Monats« ist und ich zum ersten Mal nicht nur mehrere Dutzend Frauen, sondern auch Simon damit beglücken muss. Mit einem großen Strauß Rosen mache ich mich auf den Weg, um in ganz Hamburg langstielige rote Baccararosen unter Scheibenwischer und an Briefkästen zu klemmen. Neben mir liegt eine Liste der jeweiligen Adressen nebst ausgedrucktem Photo der zu Beschenkenden. Auf ein Bild von Simon habe ich aus gegebenem Anlass verzichtet. Lutz hat mir im Internet eine entsprechende Route zusammengestellt, und so fahre ich zunächst in den Eppendorfer Baum, stelle mein Auto in zweiter Reihe ab und halte Ausschau nach einem schwarzen Golf-Cabrio mit dem Kennzeichen HH-WG 234. Da ist er ja! Die Rose hinter dem Rücken verborgen, schlendere ich möglichst unauffällig darauf zu und werfe noch einen Blick auf das Konterfei der Fahrzeugbesitzerin. Hochgewachsen, sehr schlank, hellblondes, fast weißes Haar und starkes Make-up. Verstohlen sehe ich mich in alle Richtungen um, ob besagte Frau in meiner näheren Umgebung zu sehen ist. Nicht auszudenken, wenn sie mich dabei erwischen würde, wie ich eine Blume an ihrem Auto befestige. Wobei ich für diesen Fall natürlich eine passende Ausrede parat habe:
»Wieso Ihr Wagen? Nein, das ist das Auto meines …« Blick auf das Nummernschild, kurze Pause, dann ein verlegenes Lächeln. »Ich Dummerchen, ich dachte, das hier«, Finger zeigt auf einen Buchstaben, »sei ein T. Na so was. Also, einen schönen Tag noch!«
Dennoch möchte ich natürlich möglichst vermeiden, bei diesen Aktionen gesehen zu werden. Schließlich kann ich sie dem Kunden dann nicht in Rechnung stellen. Noch ein schneller Rundumblick, und schwups, schon steckt die Rose unter dem Wischerblatt. Ich eile zu meinem Auto zurück, schenke der Politesse, die sich gerade mit drohendem Blick genähert hat, ein entschuldigendes Lächeln und trete aufs Gaspedal. Alles läuft wie am Schnürchen, als Letztes parke ich meinen Wagen vor dem Heinrich-Heine-Gymnasium in Ottensen und atme tief durch. Ach, was soll’s, im Grunde ist es ein Auftrag wie jeder andere, ich verstehe gar nicht, warum ich mich so anstelle. Und wenn es mir doch so viel ausmacht, dann stelle ich mir eben einfach vor, dass es sich bei Laura Hansens Freund gar nicht um Simon handelt. Sondern um einen Kollegen von Simon, zum Beispiel den breitschultrigen Herrn Miehe (Erdkunde und Sport) mit den durchdringenden blauen Augen und den O-Beinen. Genau! Eine gute Idee.
Es ist kurz vor dreizehn Uhr, als ich mit der letzten roten Rose aus meinem Auto steige. Die Stunde geht noch fünfzehn Minuten, also habe ich genug Zeit. Ich ziehe mir die Kapuze meines schwarzen Wintermantels so tief wie möglich ins Gesicht hinein, während ich schnellen Schrittes auf den Lehrerparkplatz zueile, der zum Glück menschenleer ist. Dort hinten, ganz am Ende der Reihe, steht Simons alter roter Ford. Sehnsüchtig werfe ich einen Blick auf die Rückbank und schwelge einen Moment lang in der Erinnerung eines Autokino-Besuches, bei dem wir vom Film nur den Vorspann mitbekommen haben. Nein, das ist keine gute Idee. Schnell befestige ich die ausnehmend schöne Rose mit halb geöffneter Blüte an der Windschutzscheibe und will zurück zu meinem Auto laufen, als zwei männliche Gestalten den Parkplatz durch das offen stehende Eisentor betreten. Sie tragen beide Jeans und Winterjacken, der eine ist muskulös und hat einen Gang wie John Wayne, der andere ist groß und schlaksig und selbst auf die Entfernung so süß, dass mir die Luft wegbleibt. Christoph Miehe und Simon Kunstmann. Während die beiden gemächlichen Schrittes auf mich zukommen, spüre ich Panik in mir hochsteigen. Wohin? Wieso besitzt dieser verfluchte Parkplatz keine Notausgänge? Suchend sehe ich mich um, doch die gesamte Parkfläche ist mit dichten Hecken umpflanzt. Was mache ich denn jetzt? In diesem Moment hebt Simon den Kopf, und ich gehe geistesgegenwärtig hinter dem Ford zu Boden. Auf allen vieren krieche ich zu seiner Hinterachse und überlege fieberhaft, wo ich mich verstecken kann. Warum zum Teufel musste Simon denn auch ausgerechnet ganz hinten parken? Wahrscheinlich war er heute Morgen mal wieder spät dran. Und das muss ich jetzt ausbaden. Vorsichtig krabbele ich um das Heck des Autos herum und robbe zwei Plätze weiter, wo
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