Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)
ein mächtiger, dunkelblauer Jeep steht, hinter dem ich mich gut verstecken kann. Ich kauere mich zusammen und sehe unter dem Auto hindurch Simons riesige Turnschuhe an mir vorbeilaufen. Puh! Er hat mich also nicht gesehen. Erleichtert schließe ich für einen Moment die Augen, als es plötzlich dicht neben meinem Ohr knallt. Ich stoße einen erschreckten Schrei aus und atme dabei einen ganzen Schwung schwarzen Rauches ein. Eine dunkle Wolke umhüllt mich, und ich kippe zur Seite um. Mit quietschenden Reifen setzt sich der Jeep in Bewegung und fährt schwungvoll aus der Parklücke, während ich mich hustend und spuckend aus der Hecke klaube.
»Vollidiot«, schreie ich Christoph Miehe hinterher, »Umweltsünder!« Dann halte ich mir erschrocken die Hand vor den Mund, springe hinter das nächste Auto, einen lilafarbenen Twingo, und halte den Atem an. Den Blick gesenkt, kauere ich auf dem harten Asphalt und lausche angestrengt auf die Zündung von Simons Wagen. Doch nichts passiert. Stattdessen nähern sich Schritte, ich drücke mein Gesicht fast vollkommen auf den Boden. Jähe Panik erfasst mich. Was soll ich nur tun? Mit einem Ruck bleibt Simon etwa einen halben Meter von mir entfernt stehen und stößt ein erstauntes »Vivi? Bist du das?« hervor. Ganz langsam, wie in Zeitlupe, schaue ich zu ihm hoch. Erst die grauen, ausgelatschten Turnschuhe, die Jeans mit leichtem Schlag und ausgefranstem Saum, der dunkelgrüne Wollpulli, den ich immer so gerne an ihm mochte, die schwarze Kapuzenjacke und schließlich sein Gesicht. Mein Blick gleitet über sein jungenhaftes Kinn, den weichen Mund mit der etwas breiteren Oberlippe, die leicht nach links gebogene Nase, seine unvergleichlichen grünen Augen mit dem braunen Kranz um die Pupille. Ihr Blick hält mich gefangen, sodass ich nicht mehr dazu komme, die strubbeligen dunkelbraunen Haare in mich aufzunehmen. Einen Moment lang bin ich so überwältigt davon, Simon wiederzusehen, dass mir die Absurdität unseres Zusammentreffens entfallen ist. »Was machst du denn bloß hier?«, erkundigt er sich und streckt hilfreich seine Hand aus. Ja, was mache ich hier? Das ist eine gute Frage. Was habe ich auf dem Lehrerparkplatz von Simons Schule verloren, noch dazu auf den Knien und mit dem Kopf in einer Hecke.
»Ich …«, stottere ich und sehe verlegen auf den Boden vor mir, blicke auf meine normalerweise perfekt manikürten Fingernägel, unter denen jetzt Erde klebt. »Ich sammele Pflanzen«, behaupte ich im Brustton der Überzeugung und rupfe wahllos einen kümmerlichen Grashalm aus. Ungläubig schaut Simon auf mich nieder.
»Du sammelst Pflanzen?«, wiederholt er tonlos, und um seine Mundwinkel zuckt es amüsiert.
»Wenn du es genau wissen willst, ich habe mir ein Herbarium zugelegt«, sage ich so würdevoll wie möglich und bin insgeheim stolz, dass mir dieses Wort eingefallen ist.
»Du hast dir ein Herbarium zugelegt.«
»Gibt es hier ein Echo?«, frage ich patzig und betrachte den blöden Stängel in meiner Hand mit gespieltem Interesse, bevor ich ihn vorsichtig in meine Tasche gleiten lasse. »Es ist ein wunderbares Hobby zum Ausgleich für meinen stressigen Beruf.« Seine ausgestreckte Hand ignorierend rappele ich mich hoch.
»Ich denke, du hast deinen Job verloren.« Mit einem Ruck hebe ich den Kopf und funkele ihn so böse an, dass er unwillkürlich einen Schritt zurückweicht.
»Wer hat dir das erzählt?«, frage ich drohend.
»Deine Schwester.« Das Herz sackt mir in die Hose, und ich muss mir Mühe geben, nicht umzufallen. Ich bringe sie um! Während ich um Fassung ringe, sage ich äußerlich cool:
»Ich habe gekündigt und längst wieder einen neuen Job, danke der Nachfrage.« Mit der Hand klopfe ich mir den Dreck von den Knien.
»Was ist denn das für ein Job, in dem du mittags auf Parkplätzen nach seltenen Pflanzen suchen kannst?«, kommt es triefend vor Ironie von Simon.
»Das geht dich einen feuchten Kehricht an«, fauche ich, »lass mich in Ruhe.« Damit drehe ich mich um und will im Laufschritt davoneilen, da fasst Simon mich am Oberarm. Wie eine getretene Katze fahre ich herum:
»Was ist denn noch?«
»Vivi«, sagt er und seine Stimme ist plötzlich ganz weich und warm.
»Ja?« Ich sehe zu ihm hoch, und meine Knie beginnen ein wenig zu zittern. Er lächelt mich an, und ich kann die fehlende Ecke an seinem rechten Schneidezahn sehen. Er hebt die Hand und legt sie an meine Wange. Mir stockt der Atem. Was passiert hier eigentlich gerade? Sein Daumen
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