Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)
ich mich sowieso nicht konzentrieren kann, springe ich kurz entschlossen auf.
»Wo willst du hin?«, ruft Lutz mir hinterher, als ich schon halb aus der Wohnung raus bin.
»Meinen Seelenfrieden zurückgewinnen«, gebe ich zurück.
Die Werbeagentur, in der Laura Hansen arbeitet, befindet sich im obersten Stockwerk eines modernen Hochhauses in Eppendorf, einem der nobelsten Stadtteile Hamburgs. Anscheinend macht es sich für das Unternehmen bezahlt, dass seine Mitarbeiter rund um die Uhr schuften, denke ich, als ich aus dem Aufzug steige und mich staunend umsehe. Die Arbeitsplätze sind nur durch Glaswände voneinander getrennt, in jeder Parzelle sitzt ein Mitarbeiter an einem riesigen Schreibtisch mit einem bonbonfarbenen Mac-Computer vor sich, schutzlos den Blicken aller ausgesetzt. Ob das die Konkurrenz schüren soll, überlege ich, und trete an den stylischen Empfangstresen aus Chrom heran. Die junge, dunkelhaarige Frau dahinter verhüllt ihre Modelmaße mit einem lässig-eleganten Hosenanzug und ist so perfekt geschminkt, als käme sie geradewegs von einem Fotoshooting.
»Hallo«, begrüßt sie mich und zieht dabei das »o« in die Länge. Ihre weißen Zähne blenden mich. »Was kann ich für Sie tun?« Tja, wenn ich das so genau wüsste. Ehe mich der Mut verlässt, stoße ich hervor:
»Ist Frau Hansen hier?« Die schöne Rezeptionistin wirft einen Blick hinter sich und nickt. Ihre schlanke Hand weist mir den Weg: »Durch den Mittelgang, der dritte Schreibtisch.«
»Danke«, ich nicke und wundere mich ein wenig, wozu es einen Empfang in diesem Laden gibt, wenn jeder einfach so hier herumspazieren darf. Ich wandere durch das gläserne Labyrinth, dessen Trennwände fast vollkommen schallisolierend wirken. Geradezu gespenstisch, das emsige Treiben rundherum, gedämpftes Murmeln. Meine Schritte werden schleppender. Was will ich eigentlich hier? Klare Antwort: Ich will sie sehen. Ich muß sie sehen, Simons Neue. Wozu? Damit die Nackte, die sich zukünftig in meinen Albträumen mit ihm durch die Laken wälzen wird, ein Gesicht bekommt? Ob es das besser macht? Gerade will ich mich auf dem Absatz umdrehen, als ich sie sehe. Natürlich, die dritte Parzelle, aber ich hätte sie auch so erkannt. Die Frau, die da telefonierend an ihre Schreibtischplatte gelehnt steht, das ist Laura. In diesem Moment hebt sie den Kopf und sieht mir für den Bruchteil einer Sekunde in die Augen, bevor ich auf dem Absatz kehrtmache und die Flucht ergreife.
»Was wolltest du denn eigentlich von ihr?«, erkundigt sich Lutz, während er mir fürsorglich eine Tasse heißen Tees reicht. Ich zucke nur müde die Schultern. Das weiß ich doch selber nicht.
»Sie sieht mir überhaupt nicht ähnlich«, flüstere ich mühsam und lege meine klammen Hände um den Becher. »Kein bisschen.«
»Wie sieht sie denn aus?«, fragt er mitfühlend.
»Hellblond«, antworte ich tonlos. »Klein. Nein, winzig. Und zierlich. Sie sieht aus wie eine Elfe.« Heiße Tränen steigen mir in die Augen, während Lutz mich tröstend an sich drückt.
»Ach was«, meint er wegwerfend, »das ist doch alles Projektion von dir.« Ich schüttele vehement den Kopf, doch er lässt sich nicht beirren. »Ich bin sicher, sie hat nicht so tolle grüne Augen wie du. Und auch nicht so lange Beine. Kleine Frauen haben oft wahre Stummelbeine, ist dir das schon mal aufgefallen?«
»Nein«, lächele ich schwach.
»Ist wirklich wahr«, bekräftigt er. »Und ich wette, sie hat jede Menge Pickel im Gesicht. Und Ringe unter den Augen. Und Krähenfüße. Und was das Wichtigste ist …«
»Ja?«
»… dich kann sie ihm sowieso nicht ersetzen.«
Und genau da bin ich mir eben gar nicht so sicher. Schon wieder spüre ich diesen Kloß in meinem Hals, aber ich würge ihn entschlossen hinunter und atme tief ein. Na schön, wenn Simon alles hinter sich lassen konnte, wieso sollte ich es nicht können? Meine Gefühle für ihn haben mir schon genug im Weg gestanden, streng genommen haben sie mich sogar meinen Job gekostet. Das wird mir nicht noch einmal passieren. Ich werde mich da jetzt nicht reinsteigern. Im Gegenteil: Ich werde ihren Auftrag annehmen und ihn zur Zufriedenheit der Kundin erledigen, so wie alle anderen auch. Gut möglich, dass es eine Schnapsidee ist, aber ich muss mir einfach selber beweisen, dass ich es schaffe, Beruf und Privates voneinander zu trennen. Es wird schon nicht so schlimm werden, ist ja nur das Standardpaket. Ein paar Geschenke organisieren, einpacken
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