Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)
Deine Jacke riecht ganz normal.« Deine Jacke riecht verdammt gut! Jetzt schnüffelt auch Simon herum.
»Ich rieche nichts.«
»Bist du vielleicht irgendwo reingetreten?«, schlage ich vor und deute auf seine Turnschuhe. Betroffen schaut er an sich herunter, dreht sich dann halb um und hebt ein Bein und dann das andere, damit ich seine Fußsohlen kontrollieren kann. »Nein, alles bestens. Vielleicht habe ich es mir auch nur eingebildet. Was wolltest du eigentlich?« Froh, die peinliche Situation so gut gemeistert zu haben, gehe ich vorneweg in Richtung Küche.
»Wissen, ob du umgeräumt hast. Ich kann weder die Kaffeebohnen noch die Mühle oder den Milchschäumer finden.«
»Ach ja, das ist jetzt alles unten links im Schrank.«
»Wieso das denn?«, erkundigt er sich, während er die Sachen hervorkramt und Kaffeebohnen in die Mühle schaufelt.
»Weil selbst ich nicht ans obere Fach ranreiche«, sage ich schnell und verstecke meinen Kopf im Kühlschrank, aus dem ich gerade einen frischen Liter Milch herausnehmen will.
»Ach so.« Wir sind beide etwas peinlich berührt. Es ist eben nicht wie immer. Alles ist anders. Wir sind nicht mehr zusammen, und ich musste nicht nur mein Leben, sondern auch meine Küche neu einrichten, um mich darin zurechtzufinden.
»Das heißt, du arbeitest jetzt von zu Hause aus?«, erkundigt sich Simon, während er sich an der Espressomaschine zu schaffen macht. Zum ersten Mal klingt es so, als würde er mir meinen neuen Job wirklich glauben.
»Ja, die Wohnung ist ja groß genug«, sage ich. Zu groß, viel zu groß für mich alleine. Es ist wie verhext, anscheinend ist es uns unmöglich, ein normales Gespräch zu führen, ohne innerhalb von zwei Sätzen wieder auf unsere Trennung und all die damit verbundenen schmerzhaften Veränderungen zu stoßen. Ich setze mich schweigend an den Tresen und sehe Simon dabei zu, wie er die geschäumte Milch in zwei hohe Gläser füllt und den Espresso vorsichtig dazugießt. Dann greift er nach dem Kakaostreuer und der Herzschablone. Ganz automatisch. Im letzten Moment wird ihm bewusst, was er da tut, und er schaut unsicher zu mir hoch. Schnell wende ich den Blick ab und starre interessiert durch unser, nein, mein großes Wohnzimmerfenster nach draußen, als hätte ich nichts mitbekommen.
»Ist es eigentlich warm draußen?«, erkundige ich mich, während Simon die Schablone schnell wieder im Schrank verschwinden lässt und einfach so etwas Kakao auf den Kaffee stäubt.
»Nein, es ist kalt, aber wunderschön«, antwortet er und klettert auf den Barhocker neben mir.
»Das sieht man«, nicke ich und bewundere ein wenig den strahlend blauen Himmel, an dem vereinzelt, wie gemalt, ein paar Schäfchenwolken stehen.
»Herrliches Wetter.« Zum ersten Mal in meinem Leben wird mir klar, wie Leute auf die Idee kommen, sich über das Wetter zu unterhalten. Man kann stundenlang reden, ohne wirklich etwas zu sagen. Allerdings ist das Thema auch ziemlich schnell erschöpft. »Gestern war es lausig«, bemerkt Simon nach einer kurzen Pause. Richtig, schließlich war gestern auch ein Tag. Theoretisch könnten wir das Wetter der letzten drei Monate durchkauen. Wie war das Wetter eigentlich gestern? Ach ja.
»Na ja, ich liebe Regen«, sage ich.
»Ich weiß.« Er lächelt mich an. Und plötzlich überkommt mich die Erinnerung an Dutzende von Spaziergängen, auf die ich Simon geschleppt habe. Rund um die Alster bei strömendem Regen. Quer durch den Stadtpark. Den Elbstrand rauf und runter. Ich glaube, er hat jedes Mal einen dicken Schnupfen davongetragen. Und trotzdem hat er bei nächster Gelegenheit wieder tapfer den Schirm in den Wind gestreckt. »Du bist schon ein verrücktes Huhn.« Anscheinend haben wir das Gleiche gedacht. Und damit scheidet nun auch das Wetter als neutrales Thema zwischen uns aus. Also sitzen wir einfach schweigend nebeneinander und schlürfen unseren Kaffee. Verstohlen mustere ich Simon von der Seite. Wie konnte nur alles so entsetzlich schieflaufen zwischen uns? Wir waren doch so ein gutes Team. Mist, jetzt hat er mich dabei ertappt, wie ich ihn angestarrt habe. Ich werde ein wenig rot, senke aber meinen Blick nicht. Er auch nicht. Wir sehen einander an, und die Zeit scheint stillzustehen. Simons Augen sind so schön und sanft und voller Liebe. Ja, ich kann es ganz genau erkennen, dass er mich auch vermisst. Genauso wie ich ihn. Irgendwann kribbelt mein ganzer Körper von Kopf bis Fuß, aber Simon macht keine Anstalten, mich zu küssen.
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