Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)
quasi aus dem Bett an den Computer rollen kann, wird man mit der Zeit nachlässiger. Und da Lutz von seinen abgewetzten Jeans einfach nicht abzubringen ist, habe ich meine Kostümchen und Blusen kurzerhand in die hinterste Ecke des Schranks verbannt. Unglaublich, was einem das an Bügelwäsche erspart. Wenigstens ein bisschen Lippenstift hätte ich aber auflegen sollen, denke ich mit einem flüchtigen Blick in den Flurspiegel. Aber dafür ist es jetzt zu spät. Wütend zerre ich an meinen verkletteten Haaren herum und beiße mir beinahe die Lippen blutig, um ein bisschen Farbe daraufzuzaubern. Dann gebe ich meine Bemühungen auf. Zum einen, weil es sowieso keinen Zweck hat, zum anderen, weil ich immerhin fünf Jahre mit Simon zusammengelebt habe. Er kennt mich in jeder Lebenslage. Er kennt mich aufgestylt und abgekämpft, schlecht gelaunt am frühen Morgen, aufgekratzt am späten Abend. Simon hat, verdammt noch mal, meine Haare zurückgehalten, als ich mir dieses schreckliche Magen-Darm-Virus zugezogen habe und halbtot über der Toilette hing.
»Hey, Vivi, was guckst du denn so entgeistert?« Vermutlich hat die Erinnerung meinen Teint ein wenig grün werden lassen. Simon dagegen sieht mal wieder aus wie das blühende Leben. Diese Laura scheint ihm wirklich gutzutun.
»Hallo, Simon, was machst du denn hier?« Ich hasse unangemeldeten Besuch, würde ich am liebsten hinzufügen, denn im Normalfall stimmt das auch. Trotzdem freue ich mich, sein Gesicht zu sehen.
»Ich habe zwei Freistunden, und da dachte ich, ich komme mal rum.« Ohne meine Antwort abzuwarten, tritt er an mir vorbei in den Flur. »Übrigens habe ich gestern mal nach deiner komischen Pflanze recherchiert. Ich glaube, du hast da was verwechselt.« Mit einem Grinsen hält er mir den ausgedruckten Wikipedia-Artikel unter die Nase.
»Das ist mir zu Hause auch klar geworden«, sage ich mit einiger Würde und entreiße ihm den Zettel.
»Ich glaube, es handelte sich vielmehr um eine Gattung der Poales«, fährt er fort. »Was meinst du?« Poales? Was ist das denn schon wieder? Hilflos sehe ich ihn an. Kein Muskel zuckt in seinem Gesicht.
»Kann sein«, gebe ich kurz zurück. »Ich habe mich entschlossen, dieses Hobby an den Nagel zu hängen.«
»Tatsächlich? So plötzlich?«
»Ja«, sage ich mit Nachdruck. Er mustert mich kurz von oben bis unten und wechselt dann zu seinem und meinem Glück endlich das Thema: »Entschuldige, habe ich dich geweckt?« Sehe ich so verpennt aus? Vehement schüttele ich den Kopf.
»Nein, natürlich nicht.«
»Wieso bist du eigentlich zu Hause? Musst du nicht arbeiten?« Misstrauisch sehe ich ihn an.
»Warum kommst du vorbei, wenn du denkst, dass ich gar nicht da bin?«, antworte ich ihm mit einer Gegenfrage. Er grinst verlegen.
»Du glaubst, ich hänge hier arbeitslos zu Hause rum, oder?« Jetzt guckt er ertappt. Ich wusste es. Er denkt, ich bin ohne Job und ohne Mann. Deshalb steht er jetzt hier auf der Matte. Weil ich ihm Leid tue. Weil in seinem Leben seit unserer Trennung alles super läuft, während meins den Bach hinunterzugehen scheint. »Nur zu deiner Information, ich sitze schon seit zwei Stunden am Schreibtisch«, sage ich patzig.
»Immer noch ein Workaholic, was?«, meint er nach einem Blick auf seine Armbanduhr. »Dann hast du dir jetzt eine Kaffeepause redlich verdient, oder?« Ich zucke mit den Schultern. Warum nicht, ich wollte mir tatsächlich gerade einen Kaffee machen. Ehe ich mich versehe, ist Simon an mir vorbei in die Wohnung getreten. Er hängt seine schwarze Kapuzenjacke an die Garderobe und geht zielstrebig in Richtung Wohnzimmer. »Hey, Tristan, wie geht’s?«, höre ich ihn meinen Goldfisch begrüßen, gefolgt von klappernden Geräuschen aus der Küche. Es ist alles wie früher. Als wäre nichts geschehen. Ich mache einen Schritt auf seine Jacke zu und kann nicht widerstehen, meine Nase in das Innenfutter zu drücken. Ich atme tief ein und schließe kurz die Augen. Ein Gefühl von Geborgenheit überkommt mich. Ein Rest von Simons Körperwärme hängt noch in seiner Jacke.
»Hast du umge … Was machst du denn da?« Ich zucke erschrocken zurück und sehe in Simons fragendes Gesicht.
»Ich … äh, hier riecht es irgendwie so komisch, findest du nicht?«, sage ich geistesgegenwärtig und schnuppere demonstrativ.
»Und du denkst, das kommt von meiner Jacke?«, kommt es beleidigt zurück.
»War nicht persönlich gemeint«, entschuldige ich mich, »außerdem kommt es definitiv nicht daher.
Weitere Kostenlose Bücher