Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)
Dieser Benjamin, am liebsten würde ich ihm den Hals umdrehen. »Erst vernachlässigt er Lydia so sehr, dass sie ihm um ein Haar ihre Ehe vor die Füße wirft, und jetzt, wo er eine Dumme gefunden hat, die seine Frau verwöhnt, legt er sich gleich noch eine Affäre zu? Oder was?«, blaffe ich Lutz an, der sich erstaunlich nervös neben mir am Haltegriff der Tür festkrallt.
»Äh. Nun, es sieht so aus, nicht wahr?«
»Ja, so sieht es aus. Aber nicht mit mir, das kann ich dir sagen.«
»Und was willst du dagegen tun?« Irritiert sehe ich ihn an. So lange, bis er nervös mit dem Finger in Richtung Windschutzscheibe zeigt.
»Würdest du bitte auf die Straße schauen.«
»Natürlich, sorry.« Ich versuche, mich auf den Straßenverkehr zu konzentrieren, aber meine Gedanken rasen.
»Vivi, du kannst dir nie sicher sein, ob einer unserer Kunden vielleicht gerade seine Frau oder Freundin betrügt«, gibt Lutz nach einer Weile des Schweigens zu bedenken, »und eigentlich geht es dich auch überhaupt nichts an. Das muss schließlich jeder selber mit seinem Gewissen ausmachen.« Mir liegt eine scharfe Erwiderung auf den Lippen, aber ich schlucke sie herunter. Ich will nicht schon wieder unsere Freundschaft aufs Spiel setzen, indem ich ihm in meiner Wut irgendwelche Vorurteile um die Ohren haue.
»Vielleicht hast du Recht«, stimme ich deshalb zögernd zu, obwohl ich noch immer sauer auf Benjamin bin, der sich jetzt gerade mit einer perfekt entspannten und himmlisch duftenden Anna Sandkamm vergnügt. Immer vorausgesetzt, dass bei ihm überhaupt noch was geht nach diesem Schreck, mir auf dem Hotelflur gegenüberzustehen. Leichenblass ist er geworden und hat schon angefangen zu gestehen, als ich in meinem Kopf noch mühsam irgendwelche Fäden zusammengefügt habe.
Am nächsten Morgen erhalte ich eine ellenlange E-Mail von Benjamin, in der er mir lang und breit sein verkorkstes Liebesleben darlegt. Als er schließlich bei den eher ungewöhnlichen Sexpraktiken ankommt, die ihm seine Frau nicht erfüllen will, habe ich eindeutig die Nase voll. »Too much information«, denke ich und lösche kurzerhand die Nachricht aus meinem Briefkasten. Dann schreibe ich ihm eine kurze E-Mail.
Hallo Benjamin, dein Liebesleben ist selbstverständlich deine Angelegenheit. Jedoch ist es uns aus ethischen Gründen leider nur möglich, pro Person eine Partnerin bzw. einen Partner rundum zu betreuen. Deshalb musst du dich um deine kleine schmutzige Affäre leider selber kümmern. Du Arsch.
Mit freundlichen Küssen,
Vivi.
Nun gut, da habe ich mich wohl etwas davontragen lassen. Ich ersetze die schmutzige Affäre durch den Namen Frau Anna Sandkamm und lösche schweren Herzens auch das »Du Arsch«, bevor ich auf Senden klicke. Persönliche Gefühle haben im Arbeitsleben schließlich nichts verloren.
Die Wochen gehen ins Land, und ehe ich mich versehe, ist der Mai gekommen und mit ihm warme Tage, laue Nächte und Frühlingsgefühle. Welche meinen Mitbewohner anscheinend besonders schwer erwischt zu haben scheinen.
»Was ist denn heute bloß los mit dir?«, erkundige ich mich, als er in genau diesem Moment seine Kaffeetasse umschmeißt. »Du zappelst den ganzen Tag schon so herum, ist alles in Ordnung?«
»Ja, ja, alles bestens«, murmelt er, während er den Zettelwust auf seinem Schreibtisch vor der braunen Brühe zu retten versucht. »Ich bin heute nur etwas nervös.«
»Darf man fragen, warum?«, erkundige ich mich neugierig. »Steht etwa noch ein Casting aus, von dem ich nichts weiß?«
»Nein, nein, das ist es nicht …«
»Sondern?«, bohre ich nach.
»Gar nichts.«
»Von wegen. Jetzt sag schon.«
»Na gut, du Nervensäge«, seufzt er, »ich treffe mich heute Abend mit meiner Exfreundin.« Erstaunt beobachte ich, dass er tatsächlich ein bisschen rot wird.
»Die Exfreundin? Die geheimnisvolle Unbekannte, die alles richtig gemacht und die du betrogen hast?«, frage ich, und er nickt unwillig.
»Sie heißt Luisa, und erinnere mich bloß nicht daran.« »Luisa«, echoe ich ungläubig und kichere, »was ist denn das für ein Name?«
»Ein sehr schöner Name«, gibt er so pampig zurück, dass ich zusammenzucke.
»Ja, ist ja schon gut, nun sei doch nicht so empfindlich.«
»Entschuldige, ich bin einfach so aufgeregt«, sagt er zerknirscht.
»Verstehe schon.« Grinsend winke ich ab und wende mich wieder meinem Computer zu. Von wegen aufgeregt. Verknallt bis über beide Ohren ist er. Dass ich das noch erleben
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