Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)
Leder gebundenen Ordner auf. »Sie hätte morgen um elf Uhr noch einen Termin frei.« Mein Herz setzt einen Schlag aus.
»Ich meinte eigentlich jetzt.«
»Jetzt ist sie leider schon gebucht.« Ratlos sieht sie mich an, und ich blicke ebenso ratlos zurück. Dann lehne ich mich ein Stück vor und raune ihr zu:
»Also gut, meinen Sie, für die doppelte Bezahlung würde sie ihren derzeitigen Kunden versetzen?« Die perfekt gezupften Augenbrauen der Rezeptionistin schnellen in die Höhe, die blauen Augen sehen mich voller Missbilligung an.
»Das würde sie nicht«, sagt sie so streng, dass ich es nicht wage, ihr das Dreifache anzubieten. Stattdessen ziehe ich den Kopf ein und räume schleunigst das Feld. Ja, verdammt noch mal, ist denn heute niemand mehr bestechlich?
»Was machst du denn da?«, erkundige ich mich erstaunt, als ich zu Lutz zurückschleiche und ihn mit zwei Fingern in seinem Mund vorfinde.
»Hmpff«, antwortet er und zieht gleich darauf einen nassen Watteklumpen hervor.
»Igitt«, rufe ich angeekelt, während er sich in der anderen Wange herumprokelt. Dann sehe ich in sein nun wieder kantiges Gesicht unter der blonden Perücke. Erleichtert nimmt Lutz einen Schluck aus seinem Whiskyglas und seufzt genießerisch:
»Viel besser.« Der Barkeeper wirft einen etwas irritierten Blick auf die unappetitlichen Dinger auf dem Tresen:
»Darf ich die wegwerfen?«
»Bitte«, meint Lutz mit einer großzügigen Handbewegung und erklärt mir gleich darauf: »Die Idee habe ich von Marlon Brando. Als Pate hatte der nämlich auch ausgestopfte Wangen.« Ich nicke anerkennend und frage mich insgeheim, warum nicht längst irgendein Regisseur Lutz als den neuen Star des deutschen Kinos entdeckt hat. Für mich ist er ein wandelndes Chamäleon. In diesem Moment habe ich eine Idee. Vielleicht keine besonders gute, aber schließlich ist dies eine Notsituation.
»Wie steht es eigentlich um deine Massagekünste?«, frage ich beiläufig, und er sieht mich erstaunt an. Dann hält er mir seine Hände unter die Nase und grinst selbstgefällig:
»Unter diesen Händen schmelzen die Ladies dahin wie Butter in der Sonne.«
»Ausgezeichnet«, rufe ich erleichtert, und eine Viertelstunde später klopft Lutz, diesmal als er selbst, an die Tür von Zimmer 342.
»Du massierst sie eine Dreiviertelstunde«, gebe ich ihm an die Wand daneben gepresst letzte Anweisungen.
»Ja ja, und ansonsten lasse ich die Finger von ihr, versprochen«, versichert er mir.
»Ach was, wenn der Typ dann immer noch nicht da ist, kannst du sie von mir aus vernaschen.«
Nachdem Lutz Annas Zimmer betreten hat, ohne von ihr erkannt worden zu sein, bleibe ich ein wenig unschlüssig im Flur stehen. Natürlich könnte ich zurück in die Hotelbar gehen, aber nach drei frisch gepressten Säften fürchte ich langsam, einen Vitaminschock zu bekommen. Also schlendere ich den Gang entlang und lasse mich schließlich in der beigen Sitzgruppe hinter dem Aufzug nieder. Eine halbe Stunde lang warte ich, ob unser Kunde auftaucht. Dann schreibe ich Benjamin entnervt eine SMS.
ER HAT NOCH 15 MINUTEN GALGENFRIST. ANNA BEKOMMT EINE MASSAGE. WENN DER TYP NICHT BALD AUFTAUCHT, KANN ICH AUCH NICHTS MEHR FÜR IHN TUN. VIVI
Sekunden später erhalte ich eine Antwort.
DAS WIRD ER. VIELEN DANK. Das hoffe ich für ihn. Und für mich natürlich auch. Vor meinem inneren Auge erscheint die horrende Summe, die ich für den heutigen Abend vorgestreckt habe. Auch wenn es ganz eindeutig nicht meine Schuld ist, wenn das Ganze in die Hose geht, so fürchte ich, dass es mit der Rechnungsstellung dann einige Probleme geben könnte. Zumal ich noch nicht einmal den Namen des Kunden kenne. Verdammt noch mal, wie unprofessionell bin ich eigentlich, dass ich mich von Benjamin in diese Sache habe reinquatschen lassen? Das ist das letzte Mal, schwöre ich mir, als ein leises Pling aus Richtung Fahrstuhl erklingt. Ob er das ist? Ich richte mich halb auf und luge an dem buschigen Ficus Benjaminus vorbei, der mir die freie Sicht versperrt. Ein blonder Mann in einem offensichtlich teuren, grauen Anzug tritt heraus und blickt sich suchend um. Unsere Blicke treffen sich.
»Benjamin«, rufe ich überrascht aus. »Was machst du denn hier?«
Kapitel 17
»Wie naiv bin ich eigentlich?«, fluche ich vor mich hin, während ich schneller als nötig mit dem geliehenen Jaguar durch Hamburgs Straßen heize. »Verdammt, sind wir jetzt eine Seitensprungagentur geworden?« Das ist doch wirklich nicht zu fassen.
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