Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)
irgendwie schlenkernden Armen und Beinen, würde ich unter Tausenden wiedererkennen. Sekunden später stehen wir voreinander. Da ich Turnschuhe trage, überragt mich Simon um einen halben Kopf. Er scheint genauso verlegen wie ich, wie er so zu mir herunterlächelt.
»Hallo du«, meint er und kommt zögernd noch etwas näher, als wäre er nicht sicher, ob er mich zur Begrüßung auf die Wange küssen darf. Oh, er darf. Er soll sogar.
»Hallo«, erwidere ich und halte ihm auch die andere Wange hin. Ein wenig unschlüssig stehen wir voreinander.
»Wollen wir ein bisschen laufen?«, fragt Simon schließlich, und ich nicke. Schweigend spazieren wir nebeneinander über den von Bäumen gesäumten Weg, die Alster plätschert sachte gegen das Ufer, und vereinzelt kommen uns Spaziergänger mit ihren Hunden entgegen. Vom Wasser steigt kühle Nachtluft auf. Ich habe die Hände tief in die Taschen vergraben und bin froh, dass ich in letzter Minute noch meinen grünen Wollschal umgebunden habe. Mit einem Seitenblick auf Simon stelle ich fest, dass der nur eine dünne Jeansjacke über seinem Langarmshirt trägt. Schon bei dem Anblick bekomme ich eine Gänsehaut.
»Ist dir nicht kalt?«, frage ich, und er schüttelt den Kopf.
»Du kennst mich doch.« Ja, da hat er recht. Ich kenne ihn gut. Simon ist stets so warm wie ein Kohleofen. Und ich kann mich gut daran erinnern, wie schön es war, meine eiskalten Füße abends zwischen seine warmen Beine zu stecken, um langsam aufzutauen.
»Es tut mir Leid, was ich auf der Vernissage gesagt habe«, sagt Simon plötzlich. »Ich habe das wirklich nicht so gemeint.« Den Blick weiter auf den dunklen Pfad vor meinen Füßen gerichtet, murmele ich:
»Doch, ich glaube schon, dass du es so gemeint hast. Und vielleicht hattest du sogar Recht damit.« Ich spüre, wie mich ein überraschter Blick von der Seite trifft. Damit hat er anscheinend nicht gerechnet.
»Trotzdem«, meint er nach einer Pause, »ich weiß auch nicht, was mit mir los war. Ich habe mich da irgendwie reingesteigert. Vielleicht war ich sauer, weil Laura mir abgesagt hatte.« Es versetzt meinem Herz einen Stich, dass er das sagt, aber ich lasse mir nichts anmerken. »Vielleicht war ich auch eifersüchtig auf diesen Lutz.« Das höre ich schon lieber. »Ich weiß auch nicht. Jedenfalls habe ich in den letzten Wochen ständig über unseren Streit nachgedacht, und ich möchte, dass du eins weißt.«
»Ja?«, frage ich ängstlich und bleibe unwillkürlich stehen.
»Es war nicht die beste Entscheidung meines Lebens, dich … du weißt schon.« Jetzt ist er auch stehengeblieben, ganz dicht vor mir.
»Nein?« Ich starre ihn an wie ein geblendetes Kaninchen.
»Ich meine, sicher war es die richtige Entscheidung, für beide von uns«, beeilt er sich zu sagen. »Ich meine, du hast Lutz und ich Laura und so, aber, ich meine, was ich eigentlich sagen will, ich finde, du bist ein großartiger Mensch. Und trotz allem warst du mir eine wundervolle Freundin.« Ich bin froh, dass es mittlerweile stockdunkel ist, dennoch schlage ich die Augen nieder, damit er nicht sehen kann, wie sehr seine Worte mich berühren. Ich muss mich so sehr anstrengen, nicht in Tränen auszubrechen, dass mein Kopf zu bersten droht. »Ich wollte dich nicht verletzen«, fährt Simon mit sanfter Stimme fort. »Nur weil du dein Leben anders führst als ich meins, heißt das nicht, dass du damit im Unrecht bist. Es ist deine Entscheidung, und da habe ich mich nicht einzumischen.« Aber ich bin froh, dass du dich eingemischt hast, würde ich am liebsten rufen. Ich weiß jetzt, dass ich all die wichtigen Dinge vernachlässigt habe, allen voran dich. Aber natürlich sage ich gar nichts. Wozu denn auch? Er hat jetzt Laura. Ich habe die Tränen einigermaßen erfolgreich weggeblinzelt und hebe wieder den Kopf, um Simon anzuschauen. »Ich möchte dich nicht ganz verlieren, du bist ein so wichtiger Teil meines Lebens. Und nur, weil wir kein Paar sein können, ich meine, könnten wir nicht Freunde sein?« Seine grün-braunen Augen ruhen auf mir, fragend, und auch ein bisschen ängstlich. Eigentlich müsste ich ihm für diesen Vorschlag die Augen auskratzen. Doch überraschenderweise fällt mir ein Stein vom Herzen. Nein, ich will Simon auch nicht verlieren. Und wenn ich ihn nicht ganz haben kann, dann möchte ich ihn wenigstens in meinem Leben wissen. Langsam nicke ich.
»Das wäre schön«, sage ich heiser, und er atmet erleichtert aus.
»Oh, Gott sei Dank, ich habe schon
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