Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)
sich und greift dann nach dem noch fast vollen Weinglas. Ich weiß, was jetzt passieren wird, aber ich kann es nicht verhindern. Den Bruchteil einer Sekunde später landet die blutrote Flüssigkeit mitten in Lutz’ Gesicht und auf seinem bis dato schneeweißen Shirt. Die Gespräche rundum sind inzwischen natürlich allesamt verstummt, sämtliche Köpfe drehen sich neugierig in unsere Richtung.
»Äh«, sage ich ein weiteres Mal, diesmal fast flehend, aber in diesem Moment drängelt sich die wütende Frau an Simon vorbei, versetzt mir einen Stoß vor die Brust, dass ich zurücktaumele.
»Viel Spaß mit ihm«, giftet sie mich an, um dann im Laufschritt das Lokal zu verlassen, die langen, blonden Haare wehen wie ein Schleier hinter ihr her. Hilflos sehe ich ihr nach, wende dann den Kopf und fange Simons Blick auf, der eben noch zufrieden aussah, sich jetzt aber in so etwas wie Mitleid wandelt. Er kommt auf mich zu und streckt mir hilfreich die Hand entgegen.
»Es tut mir so Leid«, murmelt er, »bist du okay?« Ich nicke ungeduldig und sehe meinerseits besorgt zu Lutz, der wie ein begossener Pudel dasteht, sich mit einer Serviette den Wein aus den Augen wischt und hastig in seiner Jeanstasche herumkramt. Dann wirft er einen Fünfzig-Euro-Schein auf den Tisch und will in Richtung Ausgang davonstürzen. In diesem Moment lässt Simon meine Hand los und erwischt stattdessen Lutz an seiner Jacke. Ich plumpse ein weiteres Mal auf mein Hinterteil, ein scharfer Schmerz durchzuckt mich. Aber ich habe keine Zeit für Selbstmitleid, denn in diesem Moment wirbelt Lutz zu Simon herum, und es sieht aus, als würde er ihm gleich an die Gurgel gehen.
»Lass mich los«, blafft er und baut sich drohend vor ihm auf. Doch Simon denkt gar nicht daran, den Jackenzipfel freizugeben.
»Du bist echt das Letzte«, meint er statt dessen verächtlich. »Das hier ist deine Freundin, und du willst lieber dieser Schlampe hinterher?«
»Nein«, schreie ich, doch es ist zu spät. Von einer Sekunde auf die andere färbt sich Lutz’ Gesicht dunkelrot, seine rechte Hand ballt sich zur Faust. Ich meine, sogar die Knöchel knacken zu hören. Und dann schnellt sie hoch und Simon gegen den Kiefer. Es ist ganz anders als man es aus dem Fernsehen kennt. Fast lautlos landet die Faust in Simons Gesicht. Er taumelt zurück, sieht Lutz eher verwundert denn schmerzverzerrt an. Kein Laut kommt über seine Lippen, während um uns herum ein wahrer Tumult ausbricht. Mit einem Satz bin ich auf den Beinen und will gerade besorgt nach Simon sehen, als Lutz meinen Arm packt und mich hasserfüllt ansieht.
»Wenn sie jetzt weg ist, verzeihe ich dir das nie«, stößt er hervor. In diesem Moment sehe ich aus den Augenwinkeln einen Schatten auf uns zustürzen und kann gerade noch zurück springen, bevor Simon Lutz auf den Rücken springt.
»Fass sie nicht an!«, brüllt er dabei, und gemeinsam gehen die beiden zu Boden.
»Auseinander, auseinander«, ruft ein schmächtiger, schwarz gekleideter Kellner, der unschlüssig ein paar Meter entfernt steht und hilflos die Hände ringt.
»Ruf doch mal einer die Polizei«, fordern mehrere Gäste, während ich auf das Gewirr aus Armen und Beinen zu meinen Füßen starre. Keuchend rollen die beiden auf den Fliesen hin und her, bis Lutz schließlich die Oberhand gewinnt und auf Simon liegend dessen Arme festhält.
»Dreckskerl«, knirscht Simon zwischen den Zähnen hervor.
»Jetzt hör mir mal zu, ich war nie mit Vivi zusammen, das war alles eine Lüge.« Simons Augen flackern ungläubig. Fassungslos sehe ich auf die beiden hinunter. Ich stehe da wie erstarrt, während er fortfährt: »Sie liebt dich, und du bist ein Trottel, wenn du das nicht längst kapiert hast.« Ich starre auf den Boden vor mir. Kein Loch, in das ich versinken könnte. Simons Augen treffen meine, der Ausdruck darin löst mich endlich aus meiner Starre. Mit einem Ruck drehe ich mich um und renne in Richtung Ausgang davon. »Und wenn du Luisa noch einmal Schlampe nennst, dann vergesse ich mich«, höre ich Lutz noch sagen, bevor die Tür hinter mir zufällt und die kalte Nachtluft mich umfängt. Ich höre das sanfte Klatschen der Alster an den Steg. Ich will nur noch weg hier.
Kapitel 18
Ich bin den ganzen Weg nach Hause gerannt, ohne ein einziges Mal anzuhalten. Zitternd vor Erschöpfung lehne ich mich im Flur meiner Wohnung an die Wand und rutsche langsam an ihr herunter. Mein Herz rast, und der Schweiß bricht mir aus allen Poren. Wie konnte das nur
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