Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)
passieren? Ich schließe die Augen und sehe schon wieder Lutz’ Faust vor mir, die in Simons Gesicht landet. Warum nur war Lutz mit Luisa ausgerechnet im Cliff? Und warum sah Simon sich ausgerechnet heute veranlasst, meine Ehre zu retten? Das Blut pocht in meinen Schläfen, während ich die Ereignisse noch einmal Revue passieren lasse. Luisas unmissverständlicher Abgang, die Schlägerei und Simons Gesichtsausdruck, als Lutz ihm die Wahrheit gesagt hat. Das zweite Mal innerhalb weniger Wochen wünschte ich, weder den einen noch den anderen jemals wiedersehen zu müssen.
Irgendwann erhebe ich mich mit wackeligen Beinen und wanke in die Küche, um mir einen Tee zu machen. Während ich in die dampfende Flüssigkeit starre, wird mir langsam klar, was ich angerichtet habe. Das Getränk in meinem Becher wird kälter und kälter, während ich auf Lutz warte. Ich horche angespannt auf ein Geräusch aus Richtung Tür, aber es herrscht nur eine unheimliche Stille.
Erschrocken fahre ich zusammen und richte mich verwirrt auf. Ich sehe zum Küchenfenster hinaus. Draußen herrscht noch stockfinstere Nacht. Wovon bin ich wach geworden? Und was ist das Nasses in meinem Gesicht? Auf der Holzplatte des Küchentresens vor mir befindet sich eine dunkle Flüssigkeit, daneben mein umgekippter Becher. Ich wische mir die feuchten Haare aus der Stirn und recke meine verspannten Schultern. In diesem Moment höre ich, wie jemand die Haustür öffnet, und ich springe so schnell auf, dass mir schwindelig wird. Aus dem Flur ertönt eine gedämpfte weibliche Stimme.
»Ich habe wirklich keine Ahnung, warum ich mich mitten in der Nacht von dir hierherschleppen lasse. Ich hätte gleich wissen müssen, dass du dich niemals ändern wirst.«
»Jetzt glaub mir doch bitte endlich, Luisa.«
»Lutz«, rufe ich und eile den beiden entgegen. Lutz sieht ziemlich erledigt aus, die tiefen Ringe unter seinen Augen und die Rotweinflecken auf seinem Shirt unterstreichen noch den verwahrlosten Eindruck. Luisa steht sehr aufrecht und mit verschränkten Armen vor ihm und zieht eine Schnute. Ihre hellen Augen sprühen Gift und Galle, während sie uns abwechselnd vernichtende Blicke zuwirft. In gebührendem Abstand zu ihr bleibe ich stehen, während Lutz mir einen auffordernden Blick zuwirft.
»Es tut mir so Leid«, beeile ich mich zu sagen, »wirklich, Luisa, das war alles nur ein riesiges Missverständnis.« Lutz nickt heftig mit dem Kopf, aber Madame ist augenscheinlich noch nicht überzeugt.
»Was war ein Missverständnis?«, fragt sie und sieht mich misstrauisch an.
»Na, alles«, antworte ich und ziehe ein wenig hilflos die Schultern hoch.
»Jetzt lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen«, herrscht Lutz mich ungewohnt heftig an. »Schlimm genug, dass du einfach abgehauen bist, als die Polizei kam.«
»Die Polizei?«, frage ich und merke, wie mir das Blut in die Füße sackt.
»Allerdings. Die haben uns mit aufs Revier genommen und wir konnten sie gerade noch davon abhalten, uns über Nacht dazubehalten.«
»In Handschellen?«, frage ich absurderweise, und Lutz funkelt mich wütend an. Schnell wende ich mich wieder Luisa zu und beteuere: »Lutz und ich haben nichts miteinander, jetzt nicht und früher nicht und überhaupt nie. Ehrlich! Das …«, es fällt mir schon ein bisschen schwer, vor einer völlig Fremden die dunklen Seiten meiner Seele zu enthüllen, »das habe ich nur meinem Exfreund erzählt, damit er …« Ja, was eigentlich? Noch bevor ich darüber nachdenken kann, hakt Luisa nach.
»Wirklich?«
»Wirklich.«
»Schwörst du es?«
»Ja, ich schwöre«, nicke ich und hebe zum Beweis Daumen, Zeige- und Mittelfinger in die Höhe.
»Und du hast auch keine andere?«, wendet sie sich nun an Lutz, und ihre Stimme klingt plötzlich ganz verändert. Treuherzig schüttelt er den Kopf.
»Und ich will auch nie mehr eine andere«, sagt er aufrichtig, und ich sehe ihn verwundert an. Luisa sieht aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen und wirft sich in seine Arme, während ich noch immer mit zum Schwur erhobener Hand dastehe und mir fehl am Platz vorkomme.
Aber keiner der beiden beachtet mich mehr. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, sich wie die Ertrinkenden aneinanderzuklammern und sich innig zu küssen.
Es ist ein ganz neues Gefühl für mich, jeden Morgen die gleiche Frau aus Lutz Schlafzimmer kommen zu sehen, aber ich freue mich wirklich für die beiden. Auch wenn ich mir manchmal ein bisschen wie das fünfte Rad
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