Mit Fünfen ist man kinderreich
stoppte uns mitten auf der Dorfstraße, öffnete die Beifahrertür und drückte mir eine Flasche ›Heidenberger Sonnenhalde‹ in die Hand.
»Ha no, hier liegt's halt noch mit manchem im arge, aber unser Wein isch gut, daran solltet Sie immer denke, wann Sie mal an uns denke!«
Nachwort
Seit jenem Tag sind fast acht Jahre vergangen. Wir sind seßhaft geworden und wohnen noch immer in Bad Randersau. Mit uns weitere 16.692 Einheimische, zu denen wir uns inzwischen auch zählen. Wir haben ein neues Kurhaus bekommen, das wie ein Betonbunker aussieht, innen aber recht hübsch ist. Als besonders vorteilhaft erweisen sich die verschiebbaren Innenwände, dank derer das halbe Kurhaus in einen Theatersaal verwandelt werden kann. Eine moderne Bühne gehört ebenfalls zur Ausstattung, und seit ein paar Jahren ist Bad Randersau Etappenziel wandernder Tourneetheater. Wir konnten schon Marika Röck bewundern, Maria Hellwig und die Tegernseer Bauernbühne.
Unser Wohnviertel hat sich um das Doppelte vergrößert, und nachdem alle heimischen Baumarten namentlich gewürdigt worden sind – als letztes wurde eine Ebereschenstraße geschaffen, die aber nach Svens Meinung den Sträuchern zugeordnet werden muß –, ist man zu den Dichtern übergegangen. Schiller, Goethe, Uhland und Kerner haben wir schon. Mit einer Heinrich-Böll-Straße dürfte in absehbarer Zeit jedoch nicht zu rechnen sein, da dessen politische Richtung nicht mit der des hiesigen Gemeinderats übereinstimmt.
Im Zuge der Gebietsreform wurden einige Dörfer der Gemeinde Bad Randersau einverleibt, wodurch sich die Bevölkerungszahl erhöhte – rein statistisch gesehen! Daraufhin erkannte man vor drei Jahren Bad Randersau die Stadtrechte zu. Seitdem zahlen wir höhere Steuern und brauchten auch neue Autokennzeichen.
Als Sven und Sascha in das Alter gekommen waren, in dem sie die im Nachbarort installierte Diskothek als zweite Heimstatt erwählten, plante man bei uns ebenfalls den Bau einer derartigen Vergnügungsstätte. Inzwischen zeigt auch schon Stefanie das erste Interesse an diesen Kommunikationszentren weltschmerzbehafteter Teenager, aber auch sie muß immer noch die fünf Kilometer nach Bad Wimmingen fahren.
Wir haben jetzt einen neuen Bürgermeister. Der will nun endgültig eine Diskothek bauen, und vielleicht kommen dann die Zwillinge noch in den Genuß derselben.
Sascha ist übrigens weder Lokomotivführer geworden noch Rennfahrer oder Kriminalbeamter. Er hat sich für das Hotelgewerbe entschieden und volontiert zur Zeit in London. Seine Abneigung gegen Schreibereien jeder Art hat sich noch immer nicht gelegt, und so beschränken sich unsere Kontakte überwiegend auf Telefonate, die regelmäßig als R-Gespräche ankommen. Im übrigen lassen mich diese fernmündlichen Unterhaltungen jedesmal bezweifeln, ob das, was ich damals in der Schule gelernt habe, wirklich Englisch gewesen ist. Sascha pflegt jedesmal seine inzwischen recht beachtlichen Sprachkenntnisse zu demonstrieren, und die Verständigungsschwierigkeiten werden von Mal zu Mal größer.
Im nächsten Jahr will er in die Schweiz gehen. Französisch kann er noch nicht. Außerdem hat er keine Lust, zu den Fahnen geeilt zu werden.
Bei Sven siegte das Pflichtbewußtsein. Dabei ist er vom Charakter her glühender Pazifist, der sich schon als Kind lieber verprügeln ließ, als selbst einmal zuzuschlagen. Trotzdem hat er sich dem Ruf des Vaterlandes nicht entzogen und nimmt derzeitig Panzer auseinander. Allerdings hofft er, nach Beendigung seiner Wehrdienstzeit auch in der Lage zu sein, die Panzer wieder zusammenzubauen.
Mit Zukunftsproblemen gibt sich Stefanie noch nicht ab. Sie geht zur Schule und zeigt bisher keinerlei berufliche Interessen. Fest steht nur, daß sie nicht studieren will. Einen Dienstleistungsberuf lehnt sie auch ab, und ein Handwerk kommt für sie nicht in Frage. Bleibt eigentlich nur noch Astronaut, Tiefseetaucher oder Testpilot, Berufe also, die augenblicklich noch Männern vorbehalten sind.
Die Zwillinge – beide gute Schülerinnen und lebender Beweis für die Behauptung, das Beste käme immer zuletzt! – bereiten sich auf den Übergang zum Gymnasium vor. Englisch können sie schon! Von mittags bis abends jault Steffis Kassettenrecorder und gibt Töne von sich, die nach Aussage der Mädchen Hits auf dem Plattenmarkt sein sollen und den Zulauf streunender Katzen in unserem Garten abrupt gestoppt haben. Untermalt werden diese Töne von einem meist heiseren Geröhre, das ganz
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