Mit Fünfen ist man kinderreich
nachgetrauert.
Als wir die Schlüssel zurückbrachten und den alten Herrn darauf vorbereiteten, daß er möglicherweise fünf minderjährige Nachbarn bekommen würde, zeigte er sich wieder Erwarten keineswegs erschüttert. »Vorher haben da auch schon vier Kinder gewohnt.«
Von unserem Nachwuchs war nichts zu sehen. Schließlich entdeckten wir Steffi, die sich mit einem etwa gleichaltrigen Jungen unterhielt.
»Das ist Katharina«, stellte sie uns den vermeintlichen Knaben vor, »die kommt jetzt auch in die Schule, da können wir immer zusammen gehen.« Für Stefanie schien die Übersiedlung nach hier bereits beschlossene Sache zu sein.
Sven und Sascha gabelten wir an der nächsten Straßenecke auf. Sie bildeten den Mittelpunkt einer Gruppe von Kindern, die alle ziemlich unternehmungslustig aussahen und sofort fragten, wann wir denn einziehen würden.
»Wenn wir das Haus bekommen können, sobald wie möglich«, sagte Rolf.
»Det kriejen Sie bestimmt, da wohnt schon seit Monaten keener mehr«, klärte uns ein blonder Knabe auf, unzweifelhaft preußischer Herkunft.
»Und warum nicht?«
»Keene Ahnung, vielleicht is der Bunker zu groß.«
Unsere Söhne verabschiedeten sich, kletterten ins Auto und begehrten eine Fahrt durch Bad Randersau.
»Hier soll es ein ganz tolles Freibad geben, und einen Minigolfplatz und einen Reiterhof und …«
»Jetzt fahren wir erst einmal zum Postamt. Ich will te
lefonieren«, bremste Rolf die Begeisterung seines jüngsten.
Das Gespräch dauerte ziemlich lange, war aber auf der ganzen Linie erfolgreich. Wir konnten das Haus sofort haben, und die Miete lag auch noch gerade im Rahmen des Erschwinglichen.
»Prima!« sagte Sven, »aber nun die Stadtrundfahrt.«
Den Bahnhof kannten wir bereits. Jetzt entdeckten wir eine Apotheke, eine Bankfiliale und viele Geschäfte, von denen ich in Heidenberg nur träumen konnte. Wir fanden die Schule, eines dieser unpersönlichen Standardbauwerke mit viel Glas und Beton, trotzdem von Steffi ehrfurchtsvoll bestaunt, wir fuhren an einem wunderhübschen Kindergarten vorbei, an einem weniger hübschen Sportplatz, weil ziemlich ungepflegt, und dann erblickten wir den Wegweiser ›Kurviertel‹.
Da gab es ein Kurhaus mit Kurpark, eine Kurverwaltung, eine Kurbücherei, ein Kurmittelhaus, eine Kurklinik und einen Kurpavillon. Ohne Kur davor schien lediglich das Hallenbad zu sein, mithin auch gewöhnlichen Sterblichen zugänglich.
Und dann standen wir wieder vor der geschlossenen Bahnschranke (ich habe später noch sehr oft davorgestanden!). Die Kinder behaupteten, Durst zu haben. Den haben sie immer, wenn sie sich im Auto langweilen.
»Ich muß aufs Klo!« sagte Steffi. Das half!
Wir hielten vor einem Gasthaus mit dem altmodischen Namen ›Zum Goldenen Posthorn‹ und betraten einen gemütlichen Schankraum. Holzdecke, Butzenscheiben, weißgescheuerte Holztische. In einer Ecke etwas desillusionierend eine Musikbox. Wenn es wenigstens ein Hammerklavier gewesen wäre… Die Wirtin brachte Wein und Apfelsaft und war einem kleinen Schwätzchen nicht abgeneigt.
Nach einer halben Stunde wußten wir alles Notwendige. Bad Randersau hatte ungefähr elftausend Einwohner, die Hälfte davon war allerdings in irgendwelchen Vororten beheimatet. Es gab drei große Sanatorien, mehrere kleine Pensionen und Fremdenheime, ein halbes Dutzend freipraktizierender Badeärzte, drei Zahnärzte und eine orthopädische Klinik. Letztere erwies sich im Laufe der kommenden Jahre als sehr vorteilhaft, denn unsere gesamte Nachkommenschaft ist dort inzwischen karteimäßig erfaßt. Stefanie wurde sogar eine Zeitlang Dauerpatient; kaum war der Armbruch verheilt, da brach sie sich den Mittelfinger, dann verstauchte sie sich den Knöchel, und kurze Zeit später kam der andere Arm in Gips.
Bevor wir die Heimfahrt antraten, kaufte ich in einem der drei Schreibwarengeschäfte noch die letzte Ausgabe des Randersauer Amtsblattes. Jede größere Gemeinde in Schwaben, die etwas auf sich hält, gibt so ein lokales Mitteilungsblättchen heraus. Das von Bad Randersau umfaßte sechs Seiten. Der Kleintierzüchterverband kündigte die nächste Mitgliederversammlung an, der Bezirksschornsteinfegermeister informierte über die bevorstehende Immissionsschutzmessung (??), Herr Dr. Drewitz war für das kommende Wochenende zum ärztlichen Sonntagsdienst eingeteilt, der Odenwaldklub bereitete einen Wandertag vor, die Abwassergebühren würden ab 1. Juli erhöht werden, und ein Herr Prof. Dr. Maiwald
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