Mit geschlossenen Augen
nichts übrig habe. Wenn ihm ein Mädchen gefallt, stürzt er sich für sie ins Gewühl irgendeines Kaufhauses und sucht Kleider mit bunten Glitzerpailletten, tiefen Ausschnitten und gewagten Schlitzen aus.
»Wie viel nimmt die Gute für die Stunde?«, frage ich ihn scherzend.
Aber da wird er plötzlich ernst und geht wortlos zur Kasse. Und ich ziehe schuldbewusst den Kopf ein und höre auf, dummes Zeug zu reden.
Während wir heute an festlich beleuchteten Geschäften und säuerlich dreinschauenden jungen Verkäuferinnen vorbeibummelten, begann es plötzlich zu regnen; die Geschenkkartons, die wir bei uns hatten, sogen sich im Nu mit Wasser voll.
»Schnell, stellen wir uns unter irgendeinen Torbogen«, sagte er und packte mich an der Hand.
»Ernesto, in der Via Etnea gibt es keine Torbögen!«, erwiderte ich halb belustigt, halb genervt.
Er sah mich ratlos an, zuckte mit den Schultern und rief: »Dann gehen wir zu mir nach Hause!« Eigentlich wollte ich nicht mitkommen, weil ich erfahren habe, dass einer seiner Mitbewohner, Maurizio, ein Freund von Roberto ist. Ich hatte keine Lust, ihm zu begegnen, und erst recht nicht, dass Ernesto hinter meine geheimen Aktivitäten kam.
Seine Wohnung war nur wenige hundert Meter entfernt, die wir Hand in Hand rennend zurücklegten. Es war schön, mit jemandem durch den Regen zu laufen, ohne denken zu müssen, dass ich mich dafür hinterher auf ein Bett zu legen und hemmunglos gehen zu lassen hatte. Wie gern wäre ich mal diejenige, die entscheidet, wann und wo, wie lange und wie intensiv.
»Ist jemand zu Hause?«, flüsterte ich, während unsere Schritte im Treppenhaus hallten.
»Nein«, erwiderte er außer Atem, »sie sind alle über Weihnachten nach Hause gefahren. Nur Gianmaria ist geblieben, aber momentan hat auch er irgendwo außerhalb der Stadt zu tun.« Ich folgte ihm zufrieden und betrachtete mich im Vorübergehen flüchtig in einem Wandspiegel.
Ernestos Wohnung ist teilmöbliert, und man merkt sofort, dass hier vier Männer hausen: erstens, weil es stinkt (ja, genau, dieser deprimierende Spermageruch), und zweitens, weil überall das totale Chaos herrscht.
Wir schleuderten unsere Einkaufstaschen auf die Erde und zogen die pitschnassen Mäntel aus.
»Willst du ein T-Shirt von mir, solange deine Kleider trocknen?«
»Ja, okay«, sagte ich.
Ich betrat sein Zimmer, das einer Bibliothek glich, und öffnete zaghaft den Schrank, aber noch bevor er ganz offen war, bat Ernesto mich, doch rasch unsere Tüten reinzuholen.
Als ich wieder zurückkam, stand er mit dem Rücken vor dem geschlossenen Schrank. Ich musste lachen, pudelnass, wie ich war: »He, was hast du da drin versteckt? Deine Frauenleichen?«
Er lächelte und meinte: »Mehr oder weniger.«
Um mich von weiteren Fragen abzuhalten, riss er mir die
Einkaufstaschen aus der Hand und sagte: »Zeig schon her, was du gekauft hast, Kleine!«
Neugierig wie ein kleines Kind, das seine Weihnachtsgeschenke auspackt, steckte er den Kopf in die nasse Tüte. Seine Augen glänzten, während er mit den Fingerspitzen eine schwarze Culotte herauszog.
»Oooohhh ... Und was hast du bitte damit vor, hä? Für wen willst du die anziehen? In die Schule gehst du damit ja wohl nicht...«
»Mir scheint, wir beiden haben so unsere kleinen Geheimnisse«, erwiderte ich in viel sagendem Ton.
Er sah mich verwundert an, neigte ein wenig den Kopf nach links und sagte langsam: »Meinst du ...? Na, dann lass mal hören, was für ein Geheimnis hast du denn?«
Ich bin es müde, alles immer nur in mich reinzufressen, Tagebuch. Ich habe es ihm erzählt. Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert, sein Blick genauso entzückt wie vorher.
»Was ist? Warum sagst du nichts?«, fragte ich ihn gereizt.
»Das ist dein Leben. Ich kann dir nur eins sagen: Überstürze nichts.«
»Zu spät«, erwiderte ich mit einem theatralischen Seufzer.
Um die peinliche Stille zu überwinden, die nun folgte, lachte ich laut und rief mit fröhlicher Stimme: »So, Süßer, und jetzt bist du dran. Pack schon aus!«
Sein blasses Gesicht wurde rot, und seine Augen begannen, unruhig im Zimmer umherzuirren.
Er erhob sich von dem Bettsofa mit dem ausgebleichten Blumenmuster, ging mit großen Schritten auf den Schrank zu, riss eine der beiden Türen auf, deutete auf die dort hängenden Kleider und sagte: »Die gehören mir.«
Ich erkannte alles wieder ‒ das waren die Klamotten, die wir zusammen gekauft hatten; ohne Preisschild und sichtlich gebraucht hingen sie auf ihren Bügeln.
»Was soll das
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