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Mit geschlossenen Augen

Mit geschlossenen Augen

Titel: Mit geschlossenen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Panarello
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freundliche Stimme: »Lass sie in Ruhe, siehst du nicht, dass sie neu ist? Und noch so jung ... Schau doch mal, was für ein niedliches Gesicht, so zart ... Und du bist dir deiner Sache wirklich sicher, Kleine?«
    Ich nickte mit dem Kopf.
Wenn ich recht verstanden habe, sind die beiden auf diese Sache nur eingegangen, weil sie Ernesto einen Gefallen schulden, keine Ahnung,
    wofür. Germano fühlte sich jedenfalls nicht sehr wohl in seiner Haut und hätte mich wahrscheinlich am liebsten am Rand der verlassenen Straße abgesetzt, die wir entlangfuhren. Trotzdem glaubte ich, in seinen Augen eine Begeisterung zu entdecken, die mir unbekannt war, aber das war ein vorübergehender Eindruck. Während der Fahrt schwiegen wir fast die ganze Zeit. Über kleine Landstraßen fuhren wir zu Gianmarias Ferienvilla, dem einzigen Ort, an dem wir ungestört sein würden: ein altes Gutshaus aus Naturstein, umgeben von Tannen und Oliven; etwas weiter weg konnte man ausgedehnte Weinfelder erkennen, aber die Reben waren um diese Jahreszeit tot. Es windete stark, und als Gianmaria ausstieg, um das riesige schmiedeeiserne Tor zu öffnen, wirbelten Blätter ins Auto herein und verfingen sich in meinen Haaren. Draußen war es eiskalt; es roch nach feuchter Erde und vermodertem Laub. Ich drückte meine Handtasche an mich und stand stocksteif da auf meinen hohen Stiefeln, als klammerte ich mich an mich selbst vor Kälte; meine Nasenspitze fühlte
    sich eisig an, und die Wangen spürte ich gar nicht mehr. Wir gingen zu dem großen Eingangstor aus Holz, in das unzählige Kinder im Laufe vieler Sommer ihre Namen eingeritzt hatten, um zu zeigen, dass sie irgendwann hier gewesen waren. Ich erkannte auch die Namen von Germano und Gianmaria ... Ich muss weg, Tagebuch, meine Mutter hat die Tür aufgerissen und gesagt, dass ich sie zu meiner Tante begleiten muss (sie hat sich die Hüfte gebrochen und liegt im Krankenhaus).
II . Januar 2002
     
Gestern Nacht hatte ich einen Traum.
    Ich steige aus dem Flugzeug, der Himmel über Mailand starrt grimmig und feindselig auf mich herab. Ein eiskalter, klebriger Wind zerzaust mir das frisch gestylte Haar; in dem gräulichen Licht wirken mein Gesicht fahl und meine Augen leer; die phosphoreszierenden Ringe, die sie umgeben, verleihen mir ein unheimliches Aussehen.
    Meine Hände sind kalt und weiß wie die einer Toten. Im Flughafengebäude angekommen, spiegle ich mich in einer Fensterscheibe: das magere, farblose Gesicht, die langen Haare, wirr und unansehnlich, hermetisch geschlossene Lippen. Ich bin seltsam erregt, ohne jeden Grund.
    Dann sehe ich das gleiche Spiegelbild noch einmal, aber ganz woanders. Ich bin jetzt nicht mehr im Mailänder Flughafen und mit meinen üblichen Markenklamotten bekleidet, sondern seltsamerweise in einer stinkenden, kleinen Zelle, in die kaum Licht eindringt, sodass ich nicht einmal sehen kann, was ich anhabe und in welchem Zustand ich mich befinde. Ich bin allein, weine. Draußen muss es Nacht sein. Am Ende des Korridors erkenne ich ein schwankendes Licht, das jedoch sehr hell ist. Null Geräusche. Das Licht kommt näher, immer näher, und das erschreckt mich, denn ich höre keine Schritte. Der Mann, der schließlich erscheint, bewegt sich wie eine Katze, er ist groß und stattlich.
    Er umklammert mit beiden Händen die Gitterstäbe, ich wische mir die Tränen ab, stehe auf und gehe auf ihn zu; sein Gesicht wird von der Taschenlampe beleuchtet, es hat etwas Diabolisches, der übrige Körper ist nicht zu erkennen. Ich sehe seine riesigen, hungrigen Augen von undefinierbarer Farbe und einen breiten, halb geöffneten Mund, aus dem eine Reihe strahlend weißer Zähne hervorblitzt. Er legt einen Finger auf die Lippen und bedeutet mir zu schweigen. Ich betrachte sein Gesicht aus nächster Nähe, es ist faszinierend, mysteriös und wunderschön. Ein Blitz durchzuckt mich, als seine perfekten Finger auf meinen Lippen zu kreisen beginnen. Er tut es ganz sanft, meine Lippen werden feucht, und ich nähere mich ihm noch mehr, presse, beinahe spontan, mein Gesicht an die Gitterstäbe. Seine Augen leuchten jetzt, aber seine Ruhe ist absolut und zeitlos; seine Finger dringen tief in meine Mundhöhle ein, mein Speichel lässt sie mühelos gleiten.
    Dann zieht er sie wieder raus und reißt mir mit beiden Händen die Kleider vom Oberkörper, sodass die runden Brüste bloß liegen. Die Brustwarzen sind spitz und hart vor Kälte und versteifen sich bei der Berührung seiner nassen Finger noch mehr. Er

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