Mit Haut und Haar (German Edition)
er kein Verhältnis, aber sie ahnte dunkel, dass er an diesem Abend eine Gelegenheit bekommen hatte, die er auch wahrgenommen hatte. Wenn Daniel sogar ein Essen bei einem Asiaten in Kauf genommen hatte, musste diese Begegnung äußerst wichtig für ihn gewesen sein.
Als Daniel am nächsten Morgen auf dem Weg zur Arbeit war und auch die Kinder das Haus verlassen hatten, saß sie im Wohnzimmer vor dem Fernseher, schlürfte heißen Kaffee und versuchte das Brummen in ihrem Schädel zu ignorieren. Es war dieser typische Kopfschmerz den sie immer fühlte, wenn sie geweint hatte, auch wenn es nicht sehr häufig vorkam. Das letzte Mal hatte sie geweint, als ihre Mutter gestorben war, zwei Jahre nach ihrem Vater. Viel zu früh. Und es war schon Jahre her. Die Kinder waren noch sehr klein gewesen. Sie hatte ein glückliches, zufriedenes Leben geführt mit Daniel. Tränen hatte sie allerhöchstens mal vor Rührung vergossen, wenn die Kinder irgendetwas Besonderes für sie arrangiert hatten oder bei einem rührenden Film. Gegen zehn Uhr morgens hatte sie einen Entschluss gefasst. Sie ging nach oben ins Gästezimmer. Dort stand Daniels Computer, hier arbeitete er, wenn er von zu Hause aus noch Geschäftliches zu erledigen hatte. Clarissa schaltete den PC ein. Sie brauchte das Passwort, aber das war leicht. Nach den gemeinsamen sechzehn Jahren kannte sie ihren Mann sehr gut. Daniels Lieblingsband war Kiss und es konnte nur ein Songtitel von Kiss sein. Nach vier Versuchen hatte sie das Passwort raus: Lovegun.
Mit zitternden Fingern klickte sie das Mailprogramm an. Daniel erhielt sehr viele Mails, die meisten geschäftlich, einige von seinem Bruder, auch hatte er zwei Cousins, die ihm regelmäßig schrieben. Sie lebten alle sehr weit voneinander entfernt, so blieb ihnen oft nur der Schriftverkehr per E-Mail. Mit seinen Eltern hatte Daniel nichts mehr zu tun. Sie waren geschieden und nach der Scheidung war jeder seiner Wege gegangen. Als hätten sie mit der Scheidung auch die Erinnerungen an ihre gemeinsamen Söhne abgelegt, meldeten sich beide nicht mehr. Seine Mutter war wieder verheiratet, ebenso sein Vater. Beide führten ihr eigenes Leben und ließen sich äußerst ungern an vergangene Zeiten erinnern – auch nicht durch die eigenen Söhne. Sie beide hatten im Grunde nur noch sich selbst und ihre Kinder. Ihre eigene Familie eben, die immer im Vordergrund stand.
Clarissa sortierte die Mails nach Absender und stieß nach längerem Scrollen auf einen Namen, der ihr verdächtig erschien: Von einer Dame namens »Anita« gab es hier massenhaft Mails.
Clarissa zögerte, bevor sie die erste anklickte, aber sie konnte sich nicht zurückhalten.
»Hallo Baby«, las sie. »Du fehlst mir so. Ich weiß, du kommst in einer Woche wieder, aber ich würde so gerne deine Stimme hören. Bitte ruf mich an.«
Clarissa wurde schwindelig, als sie in der nächsten Mail Daniels Antwort las.
»Hallo Kleines«, schrieb er. »Du fehlst mir auch. Ich rufe dich morgen früh vom Büro aus an, von zu Hause aus kann ich nicht telefonieren.«
Clarissa spürte, wie ihr Puls zu rasen begann. Ihr wurde schlecht. Ihre Knie begannen zu zittern. Ihren Herzschlag spürte sie tief in ihrem Magen, jeder Herzschlag versetzte ihr einen kleinen Stromstoß.
Sie klickte sich durch mindestens zwanzig Mails, Mails in denen das Liebesgeflüster immer intensiver wurde und klare Treffpunkte genannt wurden. Daniel! Er spielte ihr den treu sorgenden Familienvater vor, erklärte ihr ständig wie beschäftigt er sei! Wie froh sie sein könne, dass er diesen Job hatte, in dem er wirklich nicht schlecht verdiente! Das sie dafür eben seine regelmäßigen Geschäftsreisen in Kauf nehmen müsse! Tat so unschuldig und hatte ein Verhältnis in Hannover, der Stadt, in der er sich regelmäßig aufhielt, weil dort eine Zweigstelle der Firma angesiedelt war. Es rauschte in Clarissas Ohren, sie hatte das Gefühl, jede Minute umfallen zu müssen.
Woher sie die Kraft nahm konnte sie nicht sagen, aber schließlich klickte sie nacheinander alle Mails noch einmal an und druckte sie aus. Den Papierstapel versteckte sie im Besteckfach des Geschirrschrankes. Da schaute Daniel niemals hinein.
Sie wusste nicht, was sie damit machen würde. Ihn damit konfrontieren? Ihm die Mails zeigen und ihm verdeutlichen, dass sie ihn überführt hatte? Aber dann wusste er, dass sie an seinem Computer gewesen war. Dann wusste er, dass sie ihm hinterher spionierte. Das war etwas, was sie beide sich am Anfang
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