Mit Haut und Haaren
»und hin und wieder zu Abend
essen.«
Er wird aus Jason Ranzenhofer nicht schlau. Ein netter Ehemann, aber
undefinierbar. Er findet,
dass er nicht richtig zu Lea passt, doch von sich selbst findet
er das auch. Er wüsste nicht, wer überhaupt zu Lea passen sollte.
»Lunchen ist wichtig. Ich selbst muss auch oft Leute
zum Lunch ausführen. Einmal war ich sogar auf einem Empfang von eurer Königin«,
fährt Leas Mann fort. »Ich bin nur Bezirksbürgermeister, aber manchmal darf ich
auch auf Staatsbesuch. Ich war mal in Wien, zur Eröffnung [387] einer jüdischen Schule, weil Bürger von hier die finanziert
hatten, und dann muss der Bürgermeister von Brooklyn antanzen. In der Türkei bin
ich auch mal gewesen, Brooklyn hat ja eine der größten türkischen Gemeinden der USA . Und in den Niederlanden, wegen der Gedenkfeierlichkeiten
zu vierhundert Jahren Erforschung des Hudson River. Euer Land hat mit der Sache
offenbar auch was zu tun. Lea wollte nicht mit. Sie wollte
lieber bei den Kindern bleiben. Und da hab ich eure Königin kennengelernt. Nette
Frau, gar nicht steif, ganz anders als die englische Königin. Eure ist herrlich
spontan, aber völlig verrunzelt. Und da dachte ich, wenn wir eine Königin hätten,
also die USA meine ich – es ist gut, dass wir keine
haben, sag ich gleich dazu, aber wenn –, dann würden wir an ihren Runzeln was machen,
würden wir sie liften lassen. Auch die Brüste übrigens.
Aber ansonsten: sehr angenehm. Gar keine Frage.«
Leas Mann nimmt einen großen Schluck Cognac.
»Und eure Prinzessin hab ich auch kennengelernt«, fährt er fort. »Wie
heißt sie doch gleich?«
»Máxima«, sagt Sylvie.
»Genau. Máxima. Auch ein sehr nettes Ding. Aber sie hat Akne. Man konnte
die Pickel durch den Puder hindurch sehen. Und da dachte ich, wenn wir eine Prinzessin
hätten – es ist gut, dass die USA kein Königshaus
haben, dass wir uns da richtig verstehen, wir haben’s mit einem Präsidenten schon
schwer genug, aber wenn –, dann hätten wir ihren Pickeln den Krieg erklärt, mit
allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln.«
Wieder lacht Leas Mann, lang und laut, doch er ist der Einzige.
[388] »Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, bei der Prinzessin: Also wenn
wir eine hätten, würden wir weder Kosten noch Mühen scheuen, die Akne bis zum letzten
Pickel und Mitesser auszurotten. Wir würden sie bekämpfen, genau wie den Terrorismus.
Sind das sozialistische Bräuche? Dass man Pickel nicht behandelt?«
»Die Niederlande sind nicht sozialistisch«, sagt Roland. »Nicht mal mehr
die Sozialisten. Letzteres ist aber kein typisch niederländisches Phänomen.«
»Und du, Roland«, fragt Jason, mit einem seltsamen Unterton, »bist du
Sozialist?«
»Wie die meisten Ökonomen glaube ich an den
freien Markt.«
»Wovon redet ihr, Jason?«, fragt Lea. »Ich war einen Moment abgelenkt.«
Sie lehnt ihren Kopf an seine Schulter.
»Jetzt sind wir beim freien Markt, und davor haben wir von Pickeln gesprochen.
Eine Laserbehandlung bewirkt heutzutage wahre Wunder. Natürlich ist so eine Behandlung
nicht billig, aber eine Prinzessin muss doch nicht sparen? Oder ist eure Prinzessin
vergeizt? Ist ihr das Geld zu schade für eine Schönheitsbehandlung? Will sie nicht
zu einem Gesichtsspezialisten?«
Wieder lacht Leas Mann, nicht mal unfreundlich. Er wirkt aufrichtig erstaunt
über so viel Sparsamkeit, die er sich nicht erklären kann.
»Normalerweise trinken wir nicht«, fängt er wieder an, »aber wenn Gäste
da sind, nehmen wir gern ein kleines Verdauungsschnäpschen. Du bist Wirtschaftswissenschaftler, du kannst das
besser beurteilen als ich, aber die Krise war [389] für uns bisher gar nicht so schlecht.
Wenn Obama es schafft, und davon gehe ich jetzt doch
mal aus, müssen wir der Krise eigentlich auf Knien danken. Was meinst du, Roland?«
Jonathan ist eingeschlafen.
»Mein Forschungsgebiet ist Wirtschaftsgeschichte.
An der Ökonomischen Fakultät der Universität Chicago wird Studenten abgeraten, irgendetwas
zu lesen, das älter ist als fünf Jahre. Adam Smith kommt ihnen noch vage bekannt
vor, wie sie den Namen Keynes aussprechen sollen, wissen sie nicht, und wenn man
ihnen sagt, Friedrich von Hayek sei ein berühmter Hockeyspieler, glauben sie einem
das aufs Wort. An vielen Universitäten ist meine Wissenschaft
zu einer Unterabteilung der Mathematik verkommen. Mit anderen Worten, ich
weiß nicht so recht, was ich dir auf diese Frage antworten soll. Ich beschäftige mich vor allem mit
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