Mit Haut und Haaren
Scheidung?«, ruft Jason.
Sie hat das Wort schon früher einmal in den Mund genommen, als sie verwirrt war.
»Reg dich ab, Jason.«
Ranzenhofer steht auf. Er geht auf sie zu.
»Was läuft denn nicht gut?«
»Na«, sagt Lea, »zum Beispiel haben wir keinen Sex.«
»Keinen Sex«, flüstert er und denkt an das
Motel. Beim Wort »Sex« wird er immer an das Motel denken. »Willst du noch ein Kind?«
Sie schaut ihn verdutzt an.
»Möchtest du noch ein Kind?«, flüstert er. »Ist es das?«
Wahrscheinlich würde es ihr guttun, denkt er. Ein drittes. Drei sind
ideal. Wenn er früher an Kinder dachte, stellte er sich immer drei vor.
»Möchtest du noch ein Kind?«, ruft er.
Vielleicht hat der Cognac ihn übermütig gemacht, normalerweise trinkt
er nur wenig, doch andererseits, warum nicht? Noch eins dazu. Er sieht schon das
Wahlplakat von sich: Er mit einem Baby auf dem Arm. Und Lea kann Kinder bekommen.
So viel ist sicher. Seine Frau mag sich tagein, tagaus mit dem Tod beschäftigen, ihre Fruchtbarkeit hat nicht darunter gelitten.
Jason beginnt, sich das Hemd aufzuknöpfen.
»Ich werd’s nachholen«, sagt er, »all diese Wochen ohne Sex, dafür wirst
du entschädigt. Ich werd dir noch ein Kind machen.«
»Monate waren es!«
Er wirft sein Hemd auf den Boden. »Wochen,
Monate – egal!«
[394] Er packt seine Frau bei den Schultern und drückt sie gegen das Bücherregal.
Ein Buch fällt herunter.
Jason beginnt, seine Frau zu küssen. Normalerweise ekelt er sich vor
ihrem Geschmack, aber heute schmeckt er nur guten französischen Cognac. Rémy Martin.
»Wie sollen wir ihn nennen?«, flüstert er
ihr ins Ohr. »Oder sie? Hast du schon Namen?«
Und während er das sagt, muss er an seinen Geliebten denken.
Enrique muss ihm diese Untreue verzeihen, Jason wird ihn um Entschuldigung
bitten. Er wird zu ihm sagen, es hatte nichts zu bedeuten, es war reine Fortpflanzung, der wir alle von Zeit zu Zeit dienen müssen. Dass
nur das, was sie zwei, Enrique und Jason, gemeinsam erleben, die heiligste aller
heiligen Handlungen ist. Selbstlose Liebe, ein Gebet aus Fleisch und Kot.
Vorsichtig schiebt Lea ihren Mann von sich weg.
»Was soll das?«, fragt sie. »Du weißt doch, dass ich eine Spirale trage?«
11
Vor ihrem Hotel am Central Park West setzt Roland seine Ex
ab und seinen Sohn. Er steigt aus und umarmt Sylvie. »Danke«, sagt er. »Man hat
nichts gemerkt, glaube ich. Jetzt ist Leas Mann beruhigt. Seine Ehe ist nicht bedroht.
Nicht im Geringsten. Jetzt weiß er das auch. Danke, Sylvie.«
[395] Er hebt Jonathan hoch und flüstert dem
schlafenden Jungen ins Ohr: »Du warst der beste Schauspieler aller Zeiten.«
Er küsst ihn. »Soll ich ihn noch nach oben tragen, aufs Zimmer?«, fragt
er.
»Gern«, antwortet sie. »Warum kommst du nicht einfach in die Niederlande
zurück? Für unseren Jungen?«
Sie holt etwas aus ihrer Tasche.
»Vielleicht gefällt dir das hier«, sagt sie. »Vielleicht macht es dir
Freude.«
Es ist ein Klassenbild seines Sohns im Passbildformat. Das Foto steckt
in einer Hülle. »Schön«, sagt er.
Sie schiebt ihm das Ganze vorsichtig in die Brusttasche, und dabei wird
ihm klar, dass er in der Falle sitzt. Er ist ein Gefangener seines Sohns. Er wird
in die Niederlande zurückkehren müssen. Aber höchstens ein Semester pro Jahr. Er
hat auch ein eigenes Leben.
12
Lea steht im Nachthemd am Tisch. Die Cognacgläser und Eisschälchen
bringt sie morgen in die Küche. Sie hebt Jasons Hemd vom Boden auf und hängt es
über einen Stuhl, dann nimmt sie das heruntergefallene Buch – einer der drei Teile
von Hilbergs Die Vernichtung der europäischen Juden –
und stellt es zurück ins Regal. Sie müsste die Bücher wieder mal ordnen.
[396] Seltsam, dass ihr ein drittes Kind für einen Moment als gar keine
schlechte Idee erschien. Obwohl sie schon die ersten zwei lieber nicht bekommen
hätte – als sie noch nicht da waren zumindest, jetzt liebt sie sie über alles –,
kam ein drittes ihr wie die Rettung vor. Als würden ihre Tagträume dann aufhören,
von dem Teich im Park, in dem die Kinder ertrinken, als müsste sie dann nicht mehr
an Roland und an andere Männer denken.
Ihr Mann kommt aus dem Bad, die Zahnbürste im Mund. Er trägt nur noch
seine Unterhose.
Wie fett er ist! Warum unternimmt er nichts dagegen?
Er sagt etwas zu ihr, aber sie kann ihn nicht verstehen.
»Was sagst du?«, fragt sie.
Er nimmt die Zahnbürste aus dem Mund.
»Lass dir die Spirale herausnehmen«, sagt er,
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