Mit Haut und Haaren
Dame.
Dann ruft der Alte auf Englisch, mit starkem
Akzent: »Ich habe Hunger.«
Die Dunkelhäutige packt die Arme des Mannes von hinten und schiebt ihn
ein paar Meter vor sich her. »Komm, Lenny«, sagt sie, »wir gehen nach Hause. Das
Essen steht bestimmt schon auf deinem Zimmer.«
In dem Moment kommt Lea dazu. »Ach, ihr seid’s«, ruft sie, »Entschuldigung. Das ist mein Großvater. Er ist ein
bisschen verwirrt, aber er meint es nicht böse.«
Sie schaut ihrem Großvater und der dunkelhäutigen Dame hinterher, als
erwarte sie, dass jeden Moment etwas schiefgeht.
7
Lea hat die Blumen auf zwei Vasen verteilt. »So ein großer
Strauß«, hat sie gesagt, »das ist wirklich zu viel.«
Roland und seine Ex sitzen auf dem Sofa, die Kinder spielen auf dem Boden.
Alle warten auf Leas Mann.
Auf dem Wohnzimmertisch stehen zwei Schälchen mit Oliven. »Die im linken«,
sagt Lea, »sind mit Ziegenkäse gefüllt.«
Roland beugt sich vor und nimmt eine mit Ziegenkäse.
[381] Lea hatte sich seine Ex anders vorgestellt. Eine seltsame Mischung
von Kindlichkeit und Beharrungsvermögen strahlt diese aus.
Lea selbst setzt sich nicht, als müsse sie jeden Moment in die Küche
zurück, als sei dies ein Stehempfang und sie auf dem Sprung.
Ava fängt an zu weinen. »Gabe«, sagt Lea, »lass Ava doch mitspielen!
Gib ihr das Spielzeug!« Sie bückt sich, reißt Gabe ein kleines Rennauto aus der
Hand und gibt es der Kleinen. Das Weinen hört auf.
Lea schaut sich um; nichts mehr zu richten. Der Tisch ist gedeckt, alles
bereit, gleich wird sie den kleinen Tisch für die Kinder decken.
»Ich habe gehört«, sagt sie, »dass Jonathan
Geige spielt?«
Sylvie nickt. »Er versucht es zumindest. Spielen kann man es noch nicht
nennen.«
»Wie schön«, sagt Lea. »Gabe will Cello spielen lernen. Ich habe mich
für die Suzuki-Methode entschieden.«
»Suzuki?«, fragt Roland. Er nimmt noch eine Olive mit Ziegenkäse.
Er wagt sie kaum anzusehen, bemerkt Lea.
»Suzuki«, sagt sie. »Eine japanische Methode. Dabei lernt ein Elternteil
das Instrument mit. Ich lerne also auch Cello.«
»Hast du denn ein Cello?«, fragt Roland.
In dem Moment hört Lea, wie sich der Schlüssel in der Wohnungstür dreht.
Sie erstarrt, wie offenbar die ganze Gesellschaft. Selbst die Kinder sind einen Moment still.
Sie zögert, ob sie ihrem Mann entgegenfliegen
oder [382] lieber warten soll, bis er das Wohnzimmer betritt. Zur Wohnungstür eilen
ist besser, beschließt sie. Schließlich tut sie das sonst auch. Es gehört zu den
Pflichten einer guten, ergebenen Ehefrau. Das Ritual
mag zu einem trostlosen Theater verkommen sein, doch was zählt, ist der gute Wille:
Als gute Ehefrau eile ich, ich fliege, wenn der Gatte
nach Hause kommt, um ihn zu begrüßen.
Jason küsst sie auf die Wange und geht schnurstracks an ihr vorbei, den
Aktenkoffer noch in der Hand.
Zur Abwechslung macht ihr Mann mal einen glücklichen Eindruck. Manchmal
geht er vor dem Nachhausekommen noch kurz ins Sportstudio, obwohl die Zeit selten
reicht.
Sylvie und Roland stehen auf. Leas Mann bückt sich, um seine Kinder zu
küssen. Leas Mann. Ihre Kinder. Vor allem Gabe ist verrückt nach seinem Vater.
»Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Mister Ranzenhofer«, sagt Roland,
als die Begrüßung zwischen Vater und Kindern endlich zu Ende ist.
Nur der Wohnzimmertisch mit den Oliven steht jetzt noch zwischen ihrem
Mann und ihrem Geliebten.
»Ganz meinerseits, wirklich. Sagen wir doch du zueinander. Seit meine
Frau in Frankfurt war, hat sie mir viel von dir vorgeschwärmt. Sie hat fast kein
anderes Thema mehr. Ein wahres Wunder von Wirtschaftswissenschaftler habe sie kennengelernt. Na, jetzt in der Krise können
wir Wirtschaftswissenschaftler
gebrauchen. Vor allem gute. Die sind nämlich selten.«
Ihr Mann lacht und mustert Oberstein eindringlich.
Lea bekommt eine Gänsehaut. Nie zuvor ist ihr die Lache ihres Mannes
so übel aufgestoßen.
[383] Dann schüttelt er auch der Exfrau von Roland die Hand.
»Und du bist die Frau von …«
»Roland, Roland Oberstein«, sagt Lea schnell.
»Roland«, sagt Jason. »Rolands Frau. Schön, dich kennenzulernen. Machst
du auch was mit Wirtschaftswissenschaft?«
»Nein, ich bin Zahnärztin«, sagt Sylvie.
»Ich sag immer: Ein Freundeskreis ohne Zahnarzt ist wie ein Auto mit
drei Rädern. Wen soll man anrufen, wenn einem zu Thanksgiving eine Krone herausfällt?«
Wieder lacht er, und wieder graust es Lea. Ihr Mann schaut zu den Kindern am
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