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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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Umstände, ich weiß genau, wo alles liegt. Vielleicht, wenn
mein Forschungsprojekt fertig ist.«
    Ihr Blick geht über die Stapel, es sind mindestens zwölf. Unwillkürlich
muss sie dabei an eine Slalompiste denken. Während sie mit ihm redet, geht er zwischen
den Stapeln herum, nicht nervös, eher bedächtig. Als tue er das öfter, als sei das hier seine wahre Beschäftigung, wenn er sich unbeobachtet wähnt: sich zwischen Stapeln
von Büchern in seinem Apartment hindurchschlängeln.
    »Ich möchte gern einen Platz einnehmen in deinem Leben«, sagt sie.
    »Aber das tust du doch!«
    Sie nimmt einen Schluck von dem lauwarmen Wasser.
    »Willst du wissen, was ich dir alles angetan
habe?«
    Endlich setzt er sich. Er schlägt die Beine übereinander.
    »Ja«, sagt er, »jetzt erzähl. Erzähl mir
alles.«
    23
    Früher als sonst ist Jason Ranzenhofer im Boulevard Motor Inn.
Heute Abend muss er zu einer offiziellen Wahlparty und
wollte vorher seinen Liebsten noch einmal [430]  sehen. Wenn er den Boten länger als
eine Woche nicht treffen kann, fühlt er sich leer und
erschöpft. Selbst seinen Kindern, die ihn sonst immer
schnell aufheitern können, gelingt das dann nicht.
    Ohne Probleme hat seine Lieblingssekretärin den Namen des Mittels gefunden,
Rogaine heißt es, und es in einer Drogerie für ihn besorgt. Auf seinem Zimmer im
Boulevard Motor Inn hat er sein Jackett über einen Stuhl gehängt und seine Krawatte
gelöst.
    Jetzt steht er im Bad vor dem Spiegel, die Spraydose Rogaine in der Hand.
Es ist eine Art Schaum, den man sich ins Haar einmassieren muss. Die Gebrauchsanweisung
hat er sorgfältig gelesen.
    Er sprüht sich den Schaum in die Hand, der sich dort leicht verflüssigt, worauf er ihn sich in die Haare massiert – die, die
übrig sind. Während all seiner Ehejahre war ihm sein Haarwuchs egal. Jetzt, seit
er Enrique kennt, ist das anders.
    Rogaine riecht chemisch, aber nicht unangenehm. Es riecht nach Bordell.
    Im Angesicht der Jugend darf man sich das Älterwerden nicht anmerken
lassen. Wenn er Enrique vor dem Spiegel nimmt, dabei aufblickt und sich selbst und
die kahlen Stellen auf seinem Kopf sieht, ertappt er sich manchmal bei dem Gedanken,
dass der Tod sich auf seinem Kopf eingenistet hat.
    Noch etwas mehr Rogaine. Er hat lange damit gewartet, doch jetzt gilt:
Je mehr, desto besser.
    Plötzlich hört er es klopfen. Schnell fährt er sich mit den Händen durchs
Haar, um den Schaum zu verreiben, dann [431]  geht er zur Tür. Vor ihm steht der Bote
in seiner braunen UPS -Uniform. Er zieht ihn ins Zimmer,
kickt die Tür zu, küsst ihn auf den Mund, zwängt seine Zunge hinein, erst muss er
immer ein wenig drücken, doch nach einer Weile geht es meist wie von selbst.
    Der junge Mann macht sich los.
    »Wie ist nun mit Green Card?«, fragt er.
    »Erst ausziehen, dann über Green Card reden.«
    Der Bote setzt sich aufs Bett, er schaut auf die Uhr und zieht dann seine
Schuhe aus.
    »Was ist das?« Er zeigt auf Ranzenhofers Kopf.
    Jason schaut in den Spiegel. Über dem linken Ohr hängt noch ein wenig
nicht einmassierter Schaum. Verärgert wischt er ihn weg, wie Taubendreck.
    »Das tue ich für dich«, sagt er.
    Er geht zu dem Boten, setzt sich vor ihm auf den Teppich und zieht ihm
die Socken aus. Er presst sie sich an die Nase. Der Fußschweiß des Jungen erregt
ihn. Manchmal denkt er, ganz Guatemala müsse so riechen. Er würde das Land gern
einmal besuchen, obwohl er eigentlich ungern reist.
    Ranzenhofer setzt sich neben den Jungen aufs Bett. Mit drei Fingern streicht
er ihm sanft über die Wange. »Ich werd nie so schön werden
wie du«, sagt er, »das weiß ich, aber ich kann doch mein Möglichstes tun. Darum
nehme ich dieses Mittel. Du verjüngst mich auch so schon, aber manchmal muss man
trotzdem noch ein wenig nachhelfen.«
    Der Bote zieht sich aus.
    Als er nackt ist, entkleidet sich auch Jason und zieht ihn ins Bad.
    Das hier ist ihr Ritual, ihr Gebet. Mögen andere Leute [432]  mit dem Mund
beten, er, Jason Ranzenhofer, betet mit seinem Glied.
    Da steht der Paketbote, aufs Waschbecken gestützt, im Spiegel sieht Jason,
dass er vor sich hin starrt, den Blick weder auf sich noch auf Jason gerichtet,
der hinter ihm steht und ihm den Rücken mit Küssen bedeckt. Immer mehr muss er ihn
küssen, er kann nicht mehr aufhören.
    »Heute Wahlen«, sagt der Bote. Normalerweise ist er totenstill, wenn
sie zusammen ihr feuriges, verzweifeltes Gebet sprechen.
    Jason will gerade die Bodylotion nehmen, um den Hintern

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