Mit Haut und Haaren
seines Liebsten
sanft damit einzucremen, da fällt sein Blick auf das
Rogaine.
Im kleinen Badezimmer seines Motels begreift er,
dass er sein bisheriges Leben verachtet. Auch wenn er Kinder zu Hause hat und eine
noch ziemlich junge Frau, auch wenn er selbst noch gar nicht so alt ist, er verachtet
sein Leben, hasst seinen Körper. Er muss an ihm arbeiten, der Körper muss neu erschaffen, verjüngt werden. Er hat ihn vernachlässigt.
Die Klarheit dieser Einsicht trifft ihn ins
Mark, macht ihn fast selig – so viele klare Einsichten hat er nicht –, wenn sie
nicht zugleich so tief tragisch wäre. Seine Entscheidungen im Leben – soweit dies
das richtige Wort ist für sein armseliges, schnödes Lavieren – waren Irrtümer. Wie
lebt man weiter, wenn die eigene Geschichte nur aus Irrtümern besteht und auf dem
Kopf der Tod sich eingenistet hat?
Er sprüht das Rogaine in den After seines
Geliebten und bekommt die Vision, lebendiger als die üblichen Phantasien, ein Tagtraum,
dass aus dem Hintern des Jungen Haare sprießen, die Mähne eines Löwen, sie wachsen
weiter und [433] weiter, und er, der Bürgermeister von Brooklyn, muss sie mit einer
Kinderschere abschneiden. Noch mehr Rogaine sprüht er in den Anus des Boten, dann
fragt Enrique: »Wird Obama gewinnen?«
»Bestimmt«, flüstert
Jason, »ganz bestimmt. Alles wird besser.«
Er presst sich an den Jungen, fasst ihn am linken Ohr und flüstert: »Aber vergessen wir nicht, Amerika hat Feinde. Erst
müssen wir die alle besiegen. Erst dann kann alles besser werden.«
Und während er das sagt, denkt er wieder an sich, an den Tod auf seinem
Kopf, der seinen ganzen Körper belauert, und während ihm dieser Gedanke durchs Hirn
schießt, erschlafft seine Erektion. Er streichelt den
Rücken des Boten und presst sich unwillkürlich an ihn: »Du bist mein Löwe, mein
ewig junger guatemaltekischer Löwe. Ich will doch nur, dass du mich liebst. Ich
will doch nur deine Liebe.«
Kurz legt er den Kopf auf die Schulter des Jungen und klammert sich an
ihn, doch dann wird ihm klar, dass er seine Schwäche nicht zugeben darf.
Sein Penis wächst wieder. Er penetriert den Jungen und meint plötzlich
zu spüren, wie sein Haarwuchsmittel dabei aus dessen Hintern gepresst wird. Noch
ist nicht alles verloren. Das Rogaine, das aus dem After
des Jungen tropft, gibt ihm Hoffnung,
dass sein Gebet erhört werden wird.
[434] 24
Sie haben ein Taxi ins Village genommen und gehen durch die
Christopher Street. Hier ist immer viel los, doch heute Abend, hat Roland den Eindruck,
ist es noch voller als sonst. Auch ist es warm für die Jahreszeit.
Sonst schwitzt er nicht so, aber jetzt spürt er, wie ihm der Schweiß
unter den Achseln hervorläuft.
Zu Hause in der Wohnung hat Violet ihm alles erzählt, jedenfalls behauptete
sie das, und er hat keinen Grund, ihr nicht zu glauben. Anders als andere neigt
Violet nicht zum Lügen.
Er saß ihr nur gegenüber und hörte ihr zu. Doch nicht emotionslos. Den
Vorwurf kennt er, aber es gibt einen Unterschied zwischen dem Zeigen von Gefühlen
und deren Empfinden.
Sie gehen Arm in Arm. »Möchtest du noch irgendwo Kaffee trinken?«, fragt er.
»Nachher«, sagt sie.
Auf ihrem Stuhl sitzend, immer noch in der Jacke, hatte sie ihm von der
Affäre mit dem Satellitentelefonhändler erzählt, die
sie schon früher einmal kurz erwähnt hatte, als er auf der Konferenz in Frankfurt
war. Es war nicht bei dem einen Mal geblieben, wie er damals gedacht hatte, es war
zur Gewohnheit geworden, zu einer Sucht. Sucht, dieses Wort stammte von Roland.
Violet hatte es nicht so genannt.
Ab und zu hatte sie ihren Bericht mit der Frage unterbrochen: »Findest
du das nicht schlimm? Tut es dir nicht weh?«
[435] Und immer wieder hatte er so getan, als ob es ihm nichts ausmachte:
»Lieb von dir, aber mach dir keine Gedanken.«
Ob das nun der Wahrheit entsprach oder nicht, war egal. Diesen Triumph
gönnte er ihr nicht.
Er hatte ihre Erzählung mit der Frage unterbrochen: »Soll ich kurz ins
Deli und dir Cranberrysaft oder was Ähnliches holen?«
Doch Wasser war ihr genug.
Zweimal hatte er sie unterbrochen, um sie nach Details der Begegnungen
zu fragen, aber sie antwortete jedes Mal: »Manche Dinge sind wirklich privat. Ich
bin kein Pornofilm, den man zurückspulen kann, um sich
die guten Stellen noch mal anzusehen. Tut es dir wirklich nicht weh, das alles zu
hören?«
Woraufhin er jedes Mal versichert hatte, nicht mal so weit von der Wahrheit
entfernt: »Ganz und
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